Newsletter, 21.08.2021 Trotz einer Behinderung den Alltag gleichberechtigt gestalten! Interview mit dem Autor Karl-Friedrich Ernst zum Thema |
"Es geht um die selbstverständliche Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in alle Bereiche als gleichberechtigte Bürger und Bürgerinnen." Karl-Friedrich Ernst ist Dezernent des Integrationsamts des Kommunalverbands für Jugend und Soziales in Baden-Württemberg. Für die Verbraucherzentrale hat er den Ratgeber "Behinderung und Teilhabe" geschrieben, der jetzt aktuell in der 2. Auflage 2021 erschienen ist.
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Herr Ernst, Behinderung und Teilhabe – da denken die meisten an Menschen im Rollstuhl, die mit Barrieren zu kämpfen haben. Oder an Blinde oder Personen mit sichtbaren oder angeborenen Einschränkungen, die ihren Alltag anders organisieren müssen. Passt dieses Bild? Keineswegs! Ende 2019 besaßen in Deutschland 7,9 Millionen Menschen einen Schwerbehindertenausweis. Nur etwas mehr als 3 Prozent der Behinderungen sind angeboren; fast 90 Prozent wurden durch Erkrankungen verursacht, die sich erst im Laufe des Lebens ausprägten, etwa Herzinfarkte, Diabetes, Schlaganfall, Krebs, Demenz. Es kann jeden treffen, plötzlich mit einer Erkrankung den Status einer Schwerbehinderung zu bekommen – ohne dass es immer unbedingt auch nach außen sichtbar wird. Mit dem Alter nehmen Behinderungen überproportional zu, was für unsere alternde Gesellschaft ein Fingerzeig für Handlungsbedarf ist. Selbstbestimmung und Teilhabe – diese Stichworte fallen immer wieder, wenn es um die Belange von Menschen mit Behinderungen geht. Wo stehen wir da aus Ihrer Sicht? Mit der UN-Menschenrechtskonvention über die Rechte vom Menschen mit Behinderungen wurde 2009 ein wichtiger Impuls gegeben, um die grundsätzlich drohende rechtliche und gesellschaftliche Benachteiligung durch den Anspruch behinderter Menschen auf positive Rechte zu vermeiden. Statt „Integration“ geht es um „Inklusion“, also nicht mehr darum, die von gesellschaftlichen Aktivitäten Ausgeschlossenen zu integrieren, sondern um die selbstverständliche Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in alle Bereiche als gleichberechtigte Bürger und Bürgerinnen. Inklusion sucht also nach Wegen, um Ausgrenzung von vornherein zu vermeiden. Die sogenannten Nachteilsausgleiche sind dabei ein wichtiger Schlüssel. Allerdings müssen Betroffene auch um diese Rechte und Leistungen wissen – da wären mehr gezielte Informationen wünschenswert, was bei den unterschiedlichen Unterstützungsbedarfen möglich ist und welche Anlaufstellen es gibt. Sie deuten also an, dass das Leistungsrecht für Menschen mit Behinderungen unübersichtlich und kompliziert ist? Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren – insbesondere mit dem Bundesteilhabegesetz – viel getan, um die rechtlichen Regelungen für Menschen mit Behinderungen als Leistungsempfänger einfacher und übersichtlicher zu machen. So wurde zum Beispiel gesetzlich verankert, dass die verschiedenen Träger miteinander kooperieren und gemeinsame Empfehlungen verabreden müssen. Dazu gehört auch die Verpflichtung, Leistungen an Menschen mit Behinderung „wie aus einer Hand“ zu erbringen. Denn lange war es für Betroffene problematisch, weil sie im Zuständigkeitsdschungel oft von A nach B verwiesen wurden. Auch das Wunsch- und Wahlrecht bei der Entscheidung über Leistungen sowie ein persönliches Budget erleichtern die selbstbestimmte Lebensführung. Aber trotz vieler Vereinfachungen und Verbesserungen läuft in der Praxis leider noch nicht alles so, wie es sich der Gesetzgeber vorgestellt hatte. Viele junge Menschen beginnen gerade ihre Ausbildung. Wie steht es für Berufsstarter mit Behinderungen bei der Teilhabe am Arbeitsmarkt? Durch neue Leistungen wie die „Unterstützte Beschäftigung“ oder das „Budget für Arbeit“ soll es mehr Jugendlichen und jungen Erwachsenen als bisher ermöglicht werden, ihren Lebensunterhalt außerhalb von Werkstätten für behinderte Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verdienen. Vor allem Abgänger von Förderschulen sollen so eine bessere Perspektive bekommen. Dabei geht es um junge Menschen, für die eine normale Berufsausbildung aufgrund der Art und Schwere ihrer Behinderung nicht in Betracht kommt, bei denen aber gleichwohl die Aussicht besteht, dass eine Beschäftigung mit zusätzlichen Anstrengungen gelingen kann. Auf betrieblichen Erprobungsplätzen werden deren Fähigkeiten für die Praxis getestet und weiterentwickelt, was dann perspektivisch in eine Einarbeitung an einem passenden Arbeitsplatz mündet. Die Ausbildung in einem Berufsbildungswerk oder eine Förderung im Rahmen einer berufsvorbereitenden Maßnahme sind weitere Angebote. Zentral bei allen Wegen: Die individuell passende Lösung für eine Ausbildung oder Beschäftigung zu finden. Liebe Herr Ernst, vielen Dank für das Gespräch.
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Ratgeber | | Nehmen Sie aktiv teil am Leben - indem Sie Ihr Recht einfordern: Das Buch informiert über die vielfältigen Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe, den besonderen Kündigungsschutz, die Aufgaben des Integrationsamts und Pflichten von Arbeitgebern. Plus: Ein umfassender Serviceteil mit Links, Literatur und wichtigen Adressen. 192 Seiten | 2. Auflage | 2021 | 14,8 x 21,0 cm | Broschur| € 14,90 Auch als E-Book für jetzt € 11,99 erhältlich. | Weiterlesen |
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