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1. BVerfG: Abweichende Gerichtsentscheidungen bei Verlinkung zu OS-Schlichtungsplattform rechtfertigt keinen Verfassungsverstoß
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Nur weil ein Gericht eine andere, abweichende gerichtliche Entscheidung (hier: Linksetzung auf eine Streitschlichtungsplattform) nicht weiter berücksichtigt, liegt darin noch kein Verfassungsverstoß (BVerfG, Beschl. v. 20.11.2019 - Az.: 1 BvR 2400/17).
Der Beschwerdeführer wehrte sich gegen eine Entscheidung des OLG Dresden (Beschl. v. 11.08.2017 - Az.: 14 U 732/17), wonach Amazon-Händler nicht verpflichtet sein sollen, ihre Käufer auf die europäische OS-Schlichtungsplattform hinzuweisen. Vielmehr trifft eine solche Pflicht lediglich Amazon selbst, so die Richter. Das Gericht lehnte auch die Überprüfung durch den BGH ab. Er war Kläger in dem wettbewerbsrechtlichen Verfahren.
Gegen diese Nichtüberprüfung wehrte sich der Kläger vor dem BVerfG im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde. Insbesondere trug er vor, dass andere Oberlandesgerichte anderer Ansicht seien und es daher einer höchstrichterlichen Klärung bedurft hätte.
Dies überzeugte das BVerfG nicht. Die Verfassungsrichter wiesen die Beschwerde bereits als unzulässig ab:
"Soweit sich der Beschwerdeführer ausweislich der Beschwerdebegründung maßgeblich darauf stützt, dass ein von ihm im Ausgangsverfahren vorgelegter, von der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Dresden abweichender Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 3. August 2017 - 4 U 50/17 - keine Berücksichtigung gefunden habe, trägt dies schon nicht die Annahme eines Falles divergierender Rechtsprechung.
a) Divergenz ist gegeben, wenn die anzufechtende Entscheidung von der Entscheidung eines höher- oder gleichrangigen Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung in diesem Sinne liegt nur vor, wenn die anzufechtende Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit einem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten und diese tragenden Rechtssatz nicht deckt (...),
b) Zunächst kommt einem bloßen Hinweisbeschluss schon kein Entscheidungscharakter zu und dieser vermag keine Rechtssätze aufzustellen, da lediglich eine vorläufige Bewertung der Sach- und Rechtslage zugrundeliegt. Ein Abweichen von einer Vorentscheidung setzt begriffsnotwendig voraus, dass bereits eine anderslautende Entscheidung existent ist (...). Dies ist bei einem Hinweisbeschluss im Rahmen eines laufenden Verfahrens aber gerade nicht der Fall, solange die Endentscheidung nicht auf den Hinweisbeschluss verweist."
Und weiter:
"Auch ergibt sich aus dem Hinweisbeschluss nicht der vom Beschwerdeführer insinuierte Inhalt. Ihm lässt sich nicht eindeutig entnehmen, dass nach Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm neben der Verlinkung auf die OS-Plattform durch den Plattformbetreiber zusätzlich eine Verlinkung bei den einzelnen Marketplaceangeboten erforderlich sei. Das Oberlandesgericht Hamm führt lediglich aus, dass die Verpflichtung zur Einstellung des Links zur OS-Plattform auch für Angebote auf der Internetplattform "ebay" bestehe. Das steht dem Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden nicht entgegen, wonach eine einzige gemeinsame Verlinkung auf der Internetseite des Plattformbetreibers genügt.
c) Soweit der Beschwerdeführer auf eine vermeintlich divergierende Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz rekurriert, legt er diese nicht vor und stellt sie auch ihrem Inhalt nach nicht in einer Weise spezifiziert dar, die eine verfassungsrechtliche Überprüfung zuließe. Gleiches gilt für die weiteren vom Beschwerdeführer genannten Entscheidungen des Oberlandesgerichts München und des Oberlandesgerichts Karlsruhe, die ebenfalls nicht vorgelegt werden. Der nachträglich, außerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG mit Schriftsatz vom 10. August 2019 vorgelegte Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 14. November 2017 - 13 W 63/17 - ändert an dieser Einschätzung nichts. Denn dieser Beschluss erging jedenfalls erst nach Erlass der angegriffenen Entscheidungen und konnte daher dort keine Berücksichtigung finden."
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2. EuGH: Millionen von Verbrauchern können ihre Kreditverträge widerrufen
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Verbraucherkreditverträge müssen in klarer und prägnanter Form die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist angeben
Es reicht nicht aus, dass der Vertrag hinsichtlich der Pflichtangaben, deren Erteilung an den Verbraucher für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblich ist, auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst auf weitere nationale Rechtsvorschriften verweist
Im Jahr 2012 nahm ein Verbraucher bei der Kreissparkasse Saarlouis einen grundpfandrechtlich gesicherten Kredit über 100 000 Euro mit einem bis zum 30. November 2021 gebundenen Sollzinssatz von 3,61 % pro Jahr auf.
Der Kreditvertrag sieht vor, dass der Darlehensnehmer seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen widerrufen kann und dass diese Frist nach Abschluss des Vertrags zu laufen beginnt, aber erst, nachdem der Darlehnsnehmer alle Pflichtangaben erhalten hat, die eine bestimmte Vorschrift des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs vorsieht. Diese Angaben, deren Erteilung an den Verbraucher indessen für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblich ist, führt der Vertrag somit nicht selbst auf. Er verweist lediglich auf eine deutsche Rechtsvorschrift, die selbst auf weitere Vorschriften des deutschen Rechts verweist.
Anfang 2016 erklärte der Verbraucher gegenüber der Kreissparkasse den Widerruf seiner Vertragserklärung. Die Kreissparkasse ist der Ansicht, dass sie den Verbraucher ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt habe und die Frist für die Ausübung dieses Rechts bereits abgelaufen gewesen sei.
Das vom Verbraucher angerufene Landgericht Saarbrücken (Deutschland) fragt sich, ob der Verbraucher über die Frist, während der er sein Widerrufsrecht ausüben kann, korrekt informiert worden ist. Es hat daher den Gerichtshof um Auslegung der Richtlinie über Verbraucherkreditverträge ersucht.
Das Landgericht ist sich dessen bewusst, dass diese Richtlinie vorsieht, dass sie nicht für grundpfandrechtlich gesicherte Kreditverträge wie denjenigen gilt, der Gegenstand des bei ihm anhängigen Rechtsstreits ist. Der deutsche Gesetzgeber habe jedoch die Wahl getroffen, die Regelungen der Richtlinie auch auf derartige Verträge anzuwenden; daher vertritt das Landgericht die Auffassung, dass eine Antwort des Gerichtshofs zur Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich sei. Der Gerichtshof hält seine Anrufung für legitim, um eine einheitliche Auslegung der deutschen Rechtsvorschriften zu gewährleisten.
Mit seinem Urteil von heute stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie, die darauf abzielt, allen Verbrauchern ein hohes Maß an Schutz zu gewährleisten, dahin auszulegen ist, dass Verbraucherkreditverträge in klarer und prägnanter Form die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist angeben müssen. Andernfalls würde die Wirksamkeit des Widerrufsrechts ernsthaft geschwächt.
Außerdem steht die Richtlinie dem entgegen, dass ein Kreditvertrag hinsichtlich der Pflichtangaben, deren Erteilung an den Verbraucher für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblich ist, auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst auf weitere Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats verweist.
Im Fall einer solchen Kaskadenverweisung kann der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrags nämlich weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen noch überprüfen, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle erforderlichen Angaben enthält, und erst recht nicht, ob die Widerrufsfrist, über die er verfügen kann, für ihn zu laufen begonnen hat.
Im vorliegenden Fall stellt der Gerichtshof fest, dass der im fraglichen Vertrag enthaltene Verweis auf die deutschen Rechtsvorschriften nicht dem Erfordernis genügt, den Verbraucher in klarer und prägnanter Form über die Frist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts zu informieren.
Urteil in der Rechtssache C-66/19 JC / Kreissparkasse Saarlouis
Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 26.03.2020
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3. EuGH: Örtliche Zuständigkeit bei Flugverspätungs-Entschädigungen
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Ein Fluggast, der seinen Flug über ein Reisebüro gebucht hat, kann gegen das Luftfahrtunternehmen eine Klage auf Ausgleichsleistung wegen großer Flugverspätung vor dem Gericht des Abflugortes erheben
Obwohl zwischen diesem Fluggast und dem Beförderer kein Vertrag besteht, bilden bei einer solchen Klage nämlich ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag im Sinne der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit den Gegenstand des Verfahrens, so dass die Klage vor dem Gericht des Ortes der Erbringung der Luftbeförderungsleistung erhoben werden kann
Frau Libuse Kralova schloss mit einem tschechischen Reisebüro einen Vertrag über eine Pauschalreise, die zum einen eine Luftbeförderung zwischen Prag (Tschechische Republik) und Keflavik (Island) durch das dänische Luftfahrtunternehmen Primera Air Scandinavia und zum anderen eine Unterbringung in Island umfasste.
Der Flug von Prag nach Keflavik am 25. April 2013 hatte eine Verspätung von mehr als vier Stunden. Frau Kralova erhob daraufhin gegen Primera Air Scandinavia beim Obvodni soud pro Prahu 8 (Bezirksgericht Prag 8, Tschechische Republik) nach der Fluggastrechteverordnung eine Klage auf Ausgleichszahlung in Höhe von 400 Euro.
Das Gericht hat Zweifel an seiner territorialen Zuständigkeit, über diesen Rechtsstreit zu befinden, denn zum einen sind nach der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit Klagen gegen ein Unternehmen, das in einem bestimmten Mitgliedstaat ansässig ist, grundsätzlich in eben diesem Mitgliedstaat zu erheben. Zum anderen gelten die in der Verordnung vorgesehenen Sondervorschriften für Vertragssachen, die es erlauben, auch vor dem Gericht des Erfüllungsorts einer Verpflichtung Klage zu erheben (nach der Rechtsprechung bei Luftbeförderungsleistungen insbesondere vor dem Gericht des Abflugortes), grundsätzlich nur dann, wenn zwischen den in Rede stehenden Parteien ein Vertragsverhältnis besteht.
Frau Kralova hat aber nicht mit dem Luftfahrtunternehmen einen Vertrag geschlossen, sondern mit einem Reisebüro. Das tschechische Gericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob vorliegend zwischen dem Fluggast und dem Luftfahrtunternehmen ein Vertragsverhältnis besteht, das es dem Fluggast ermöglicht, gegen das Unternehmen eine Klage vor diesem Gericht zu erheben, weil es sich bei ihm um das Gericht des Abflugortes des verspäteten Fluges handelt.
Mit seinem Urteil vom heutigen Tag erinnert der Gerichtshof zunächst daran, dass der Begriff des ausführenden Luftfahrtunternehmens, das den sich aus der Fluggastrechteverordnung ergebenden Verpflichtungen unterliegt, nicht nur solche Luftfahrtunternehmen umfasst, die im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast einen Flug durchführen oder durchzuführen beabsichtigen, sondern auch solche, die dies im Namen eines Dritten tun, der mit dem Fluggast einen Vertrag geschlossen hat.
Somit kann in einem Fall wie dem hier vorliegenden, in dem das Luftfahrtunternehmen den Flug im Namen eines Reisebüros durchgeführt hat, das einen Vertrag mit dem Fluggast geschlossen hat, der Fluggast sich bei großer Verspätung des Fluges gegenüber dem Luftfahrtunternehmen auf die Fluggastrechteverordnung berufen, selbst wenn zwischen dem Fluggast und dem Luftfahrtunternehmen kein Vertrag geschlossen wurde.
Der Gerichtshof erinnert sodann daran, dass, obwohl die Anwendbarkeit der in der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit vorgesehenen Sondervorschriften für Vertragssachen nicht den Abschluss eines Vertrags voraussetzt, auf diese Vorschriften nur zurückgegriffen werden kann, wenn eine von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene Verpflichtung vorliegt.
Hierbei betont der Gerichtshof, dass bei einem ausführenden Luftfahrtunternehmen, das wie Primera Air Scandinavia mit dem Fluggast keinen Vertrag geschlossen hat, ihm aber im Namen des Reisebüros die Erfüllung der Verpflichtungen schuldet, die sich aus der Fluggastrechteverordnung ergeben, davon ausgegangen werden muss, dass es Verpflichtungen erfüllt, die es gegenüber dem Reisebüro freiwillig eingegangen ist. Insoweit betont der Gerichtshof, dass diese Verpflichtungen ihren Ursprung in dem Pauschalreisevertrag finden, den der Fluggast mit dem fraglichen Reisebüro geschlossen hat.
Unter diesen Voraussetzungen stellt der Gerichtshof fest, dass eine Klage auf Ausgleichsleistung wegen der großen Verspätung eines Fluges, die der Fluggast gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen erhoben hat, das nicht Vertragspartner des Fluggasts ist, als einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag betreffend anzusehen ist.
Folglich kann in einem solchen Fall der Fluggast nach der Rechtsprechung eine Klage auf Ausgleichsleistung gegen das Luftfahrtunternehmen vor dem Gericht des Abflugortes erheben.
Urteil in der Rechtssache C-215/18 Libuse Kralova / Primera Air Scandinavia A/S
Quelle: Presseitteilung des EuGH v. 26.03.2020
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4. KG Berlin: Beschwerde von Renate Künast wegen Facebook-Beleidigungen erfolgreich
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Auf die Beschwerde einer Politikerin (Antragstellerin des Verfahrens) hat das Kammergericht mit Beschluss vom 11. März 2020 die Entscheidung des Landgerichts Berlin vom 9. September 2019 in der Fassung des Abhilfebeschlusses vom 21. Januar 2020 zum Antrag gegen eine Social-Media-Plattform auf Gestattung der Herausgabe von Nutzerdaten nochmals teilweise zu Gunsten der Politikerin korrigiert und weitere sechs der insgesamt 22 streitgegenständlichen Nutzerkommentare im Lichte der höchstrichterlichen und verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit als Beleidigungen im Sinne von § 185 StGB eingestuft.
Die Social-Media-Plattform dürfe daher – zusätzlich zu den schon vom Landgericht gestatteten sechs Fällen – auch in diesen weiteren sechs Fällen über Name des Nutzers, E-Mail-Adresse des Nutzers und IP-Adresse, die von dem Nutzer für das Hochladen verwendet worden sei, sowie über den Uploadzeitpunkt Auskunft erteilen. Im Übrigen hat das Kammergericht jedoch die Entscheidung des Landgerichts Berlin bestätigt und deshalb die weitergehende Beschwerde der Politikerin insoweit zurückgewiesen.
Wegen der Hintergründe des Verfahrens wird auf die Pressemitteilung des Kammergerichts Nr. 4/2020 vom 21. Januar 2020 verwiesen.
Die Richter des 10. Zivilsenates des Kammergerichts haben in ihrer jetzigen Entscheidung u.a. betont, dass der im hiesigen Verfahren geltend gemachte Anspruch nach § 14 Abs. 4 des Telemediengesetzes (TMG) auf Gestattung der Herausgabe von Nutzerdaten nur ein vorbereitender Anspruch sei, der in verfahrensrechtlicher und inhaltlicher Hinsicht deutliche Unterschiede zu den weitergehenden Ansprüchen auf Unterlassung von Äußerungen und auf andere Leistungen (z.B. Geldentschädigung) aufweise, über die im hiesigen Verfahren noch gar nicht zu entscheiden gewesen sei. Demgemäß sei auch nur die Social-Media-Plattform als der jeweilige Diensteanbieter im hiesigen Verfahren beteiligt gewesen, nicht aber die jeweiligen Verfasser der 22 Kommentare.
Sechs von sechzehn der jetzt noch mit der Beschwerde zu prüfenden Kommentare erfüllten nach Ansicht der Richter des 10. Zivilsenates ungeachtet der strengen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an Eingriffe in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung stelle, den strafrechtlichen Beleidigungstatbestand des § 185 StGB.
Diese sechs Äußerungen wiesen einen so massiven diffamierenden Gehalt auf, dass sie sich als Schmähkritik bzw. die dem gleichgestellte Formalbeleidigung einordnen ließen. Auch unter Berücksichtigung des thematischen Kontextes, in welchem die Nutzer ihre Posts verfasst hätten, könnten diese verbalen Entgleisungen nur als außerhalb einer Sachdebatte stehende Schmähungen der Person der Antragstellerin eingeordnet werden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Thematik fehle insoweit.
Vielmehr werde der Antragstellerin als vermeintlicher Befürworterin einer Entkriminalisierung von „einvernehmlichem bzw. gewaltlosem” Sex mit Kindern, wie sie die Ausgangsmitteilung andeute, jede Würde abgesprochen. Die Antragstellerin werde im Schutze der Anonymität des Internets zum Objekt frauenverachtender und entwürdigender obszöner Anwürfe gemacht. Hierdurch und durch zügellose Beschimpfungen mittels besonders drastischer Begriffe aus dem Bereich der Fäkalsprache werde die Antragstellerin in einer so maßlos überzogenen Art und Weise attackiert, dass nur noch die persönliche Schmähung im Vordergrund steht und eine sachbezogene Auseinandersetzung völlig aus dem Blickfeld geraten sei. Bei solchen Diffamierungen werde ungeachtet des Anlasses der Entgleisungen die weit gezogene Grenze zulässiger Meinungsäußerungen deutlich überschritten und der Ausnahmetatbestand einer nicht mehr legitimierbaren Schmähkritik oder einer dieser gleichgestellten Formalbeleidigung erreicht.
Dagegen müsse der Beschwerde der Antragstellerin nach der Auffassung der Richter des 10. Zivilsenats des Kammergerichts im Hinblick auf die verbleibenden zehn verfahrensgegenständlichen Kommentare der Erfolg versagt bleiben. Die Richter des 10. Zivilsenats würden dabei keineswegs verkennen, dass es sich insoweit gleichfalls um erheblich ehrenrührige Bezeichnungen und Herabsetzungen der Antragstellerin handele. Unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben sei allerdings festzustellen, dass die Schwelle zum Straftatbestand der Beleidigung gemäß § 185 StGB jeweils nicht überschritten werde.
Denn es liege insoweit kein Fall der abwägungsfreien Diffamierung (Angriff auf die Menschenwürde, Formalbeleidigung bzw. Schmähkritik) vor und die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Antragstellerin erreiche auch nicht ein solches Gewicht, dass die Äußerungen unter Einbeziehung des konkret zu berücksichtigenden Kontextes – anders als bei den vorgenannten sechs Kommentaren – lediglich als persönliche Herabsetzung und Schmähung der Antragstellerin erscheinen würden.
Sie würden – so die Richter des 10. Zivilsenats – auch keinesfalls verkennen, dass es zu einem Sprachverfall und insbesondere unter Ausnutzung der Anonymität im Internet zu einer Verrohung bis hin zu einer Radikalisierung des gesellschaftlichen Diskurses gekommen sei. Dies vermöge aber eine andere rechtliche Beurteilung nicht zu rechtfertigen.
Der von der Antragstellerin aufgeworfenen Frage, ob die Besonderheit, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen für Personen des politischen Lebens härtere Maßstäbe zu gelten hätten, noch zeitgemäß sei und ob die Rechtsordnung und die Justiz sich nicht stärker schützend vor politische Entscheidungsträger stellen müssten, möge die Berechtigung nicht abgesprochen werden. Die geltende Rechtsordnung und die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts böten jedoch auf dem hier zu beurteilenden Gebiet derzeit aber keinen Raum für eine Aufwertung des Persönlichkeitsschutzes.
Diese Entscheidung ist rechtskräftig; der 10. Zivilsenat des Kammergerichts hat eine Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung nicht zugelassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung habe, noch zur Rechtsfortbildung oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordere.
Landgericht Berlin: ursprünglicher Beschluss – 27 AR 17/19 – vom 09. September 2019 Landgericht Berlin: Abhilfebeschluss– 27 AR 17/19 – vom 21. Januar 2020 Kammergericht: Beschluss – 10 W 13/20 – vom 11. März 2020
Quelle: Pressemitteilung des KG Berlin v. 24.03.2020
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5. OLG Dresden: Online-Vermittler von Flugreisen muss Zusatzkosten angeben
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Fallen bei der Online-Buchung von Flugreisen zusätzliche Entgelte an (hier: Aufpreise für Gepäck), muss ein Online-Vermittler diese bei der Bestellung mit angeben (OLG Dresden, Urt. v. 11.02.2020 - Az.: 14 U 1885/19).
Auf der Webseite des verklagten Vermittlers Travel24.com enthielten die Preise für Flugreisen kein Freigepäck. Der Kunde musste dieses hinzubuchen. Es wurde jedoch nicht angegeben, welche zusätzlichen Entgelte anfielen. Darüber hinaus verlangte der Anbieter für die Bezahlung mit einer Kreditkarte eine Servicegebühr. Ausgenommen hiervon waren nur die Kunden, die Inhaber einer Travel24.com Mastercard Gold waren.
Beides stufte das OLG Dresden als rechtswidrig ein.
Die Beklagte sei nach den einschlägigen rechtlichen Vorschriften verpflichtet, den Gesamtpreis inklusive der Kosten für das Gepäck anzugeben. Es handle sich um wesentliche Informationen, damit der Kunde die unterschiedlichen Angebote am Markt vergleichen könne.
Ebenso unzulässig sei die Erhebung einer Service-Gebühr, die gegen § 312a Abs.4 BGB verstoße. Bei der Travel24.com Mastercard Gold handle es sich um kein gängiges Zahlungsmittel, denn es sei eine auf ein bestimmtes Unternehmen gekennzeichnete Mastercard. Es sei nicht ersichtlich, dass diese Zahlungsmöglichkeit eine ausreichende allgemeine Verbreitung gefunden habe.
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6. OLG Frankfurt a.M.: Kein DSGVO-Unterlassungsanspruch: Anwaltsschriftsätze dürfen an Anwaltskammer zur Prüfung weitergeleitet werden
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Ein Rechtsanwalt hat keinen DSGVO-Unterlassungsanspruch, dass seine Schriftsätze zur Überprüfung an die zuständige Anwaltskammer weitergeleitet werden (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 19.02.2020 - Az.: 6 W 19/20).
Die Parteien des Rechtsstreits waren beide Rechtsanwälte. Es ging um eine außergerichtlich ausgesprochene Abmahnung durch den Kläger. Der verklagte Anwalt leitete sämtliche Korrespondenz dieses Falls an die zuständige Anwaltskammer zur Überprüfung weiter, weil er der Meinung war, der klägerische Rechtsbeistand habe unsachlich geschrieben und dadurch einen Berufsverstoß begangen.
Darin sah der Kläger einen datenschutzrechtlichen Verstoß und klagte auf Unterlassung. Sein Klageantrag lautete:
"(...) wird (...) untersagt, personenbezogene Daten des Antragstellers (Name, Privatanschrift, Sachverhalt, rechtliche Ausführungen, Behauptungen etc.) einschließlich Geschäftsgeheimnissen (Abmahnung, Vertragsstrafenforderung, Streitwert, Gebührenbestimmung), die in der Abmahnung des Antragstellers vom 21. Dezember 2018 nebst Anlage AS 1 (vorgefertigte Unterlassungserklärung) und Anlage AS 2 (Werbe-E-Mail an das private E-Mail Postfach des Antragstellers), in dem Schriftsatz des Antragstellers vom 5. Oktober 2019 neben Anl. K1-K6) ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung des Antragstellers oder ohne überwiegende berechtigte Interessen des Antragsgegners bzw. seiner Mandantschaft durch Übermittlung offenzulegen, wie geschehen am 29. Oktober 2019 und 1. November 2019 gegenüber der Rechtsanwaltskammer (...)."
Das Gericht lehnte den Anspruch mit relativ klaren Worten ab.
Es handle sich bei der Weiterleitung an die Anwaltskammer um eine sogenannte privilegierte Äußerung.
Nach ständiger Rechtsprechung bestünde kein Anspruch auf Unterlassung von Behauptungen einer Partei oder ihres Anwalts, eines Zeugen oder Sachverständigen in einem gerichtlichen Verfahren, wenn sie - ungeachtet ihres Wahrheitsgehalts - der Rechtsverfolgung in einem Verfahren dienen. Die Verfahrensbeteiligten müssen, soweit nicht zwingende rechtliche Grenzen entgegenstünden, vortragen können, was sie zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung für erforderlich hielten.
Diese Grundsätze würden auch im vorliegenden Fall eingreifen, sodass es bereits am Rechtsschutzbedürfnis fehle.
Darüber hinaus liege aber auch inhaltlich kein Rechtsverstoß vor, denn die Handlung sei nach der DSGVO gerechtfertigt:
"Soweit in der Übermittlung der Schreiben an die Rechtsanwaltskammer durch den Antragsgegner überhaupt eine „Verarbeitung“ von Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 2 DSGVO liegen sollte, wäre diese Übermittlung nämlich nach Art. 6 I e) DSGVO rechtmäßig. Die Ziele der BRAO, insbesondere auch die der Sanktionierung von Fehlerverhalten von Rechtsanwälten, liegen im öffentlichen Interesse.
Im Übrigen wäre die Übermittlung auch nach Art. 6 I f) DSGVO zulässig, da berechtigte Interessen für die Übermittlung vorliegen und nicht erkennbar ist, dass Interessen des Antragstellers, insbesondere dessen Grundrechte überwiegen. Die Eingriffsintensität ist als gering anzusehen; es handelt sich bei den Schriftsätzen um vom Antragsteller verfasste Schreiben, die dafür bestimmt waren, Dritten zugänglich gemacht zu werden.
Der Antragsteller selbst hat sie auch der Klageschrift in dem Verfahren vor dem Landgericht Stadt2 beigefügt (dort Anlagen K 15 und K 16). Es ist auch in keiner Weise erkennbar, dass in den Schriftsätzen besonders schützenswerte Informationen enthalten wären."
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7. OLG Frankfurt a.M.: Online-Werbung ggü. Steuerberater mit Weiterempfehlungs-Provisionen wettbewerbswidrig
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Die Werbung einer Marketing-Firma gegenüber Steuerberatern mit Provisionen für Weiterempfehlungen ist wettbewerbswidrig (OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 19.12.2019 - Az.: 6 U 155/19).
Die Beklagte war ein Marketing-Unternehmen und bot u.a. Gutscheine und sogenannte Akzeptanzkarten an, die in Restaurants und bei Einzelhändlern eingelöst werden konnten. Dies war für die Firmen und ihre Mitarbeiter, die diese Möglichkeiten nutzten, mit steuerlichen Vorteilen verbunden.
Auf ihrer Homepage warb die Schuldnerin gegenüber Steuerberatern wie folgt:
"IHRE VORTEILEVORTEILE IHRER MANDANTEN (...)
Die klägerische Steuerberaterkammer sah hierin einen Verstoß gegen § 57 StBG, weil die Steuerberater zu einem berufsrechtswidrigen Verhalten angestiftet würden. Die Norm lautet:
"§ 57 Allgemeine Berufspflichten (...) (2) Steuerberater und Steuerbevollmächtigte haben sich jeder Tätigkeit zu enthalten, die mit ihrem Beruf oder mit dem Ansehen des Berufs nicht vereinbar ist. Sie haben sich auch außerhalb der Berufstätigkeit des Vertrauens und der Achtung würdig zu erweisen, die ihr Beruf erfordert. (...)"
Die Kammer stufte dies als Wettbewerbsverstoß ein und klagte auf Unterlassung.
Das Gericht teilte zwar grundsätzlich diese Auffassung, wies die Klage aber im konkreten Fall aufgrund der besonderen Umstände ab.
Die angebotene Provision verstoße zwar gegen § 57 StBG, denn nach ständiger Rechtsprechung sei die Empfehlung eines Anbieters steuersparender Geschäftsmodelle gegenüber Mandanten mit dem Beruf des Steuerberaters nicht zu vereinbaren, wenn dieser für die Vermittlung ein Entgelt erhalte.
Es liege jedoch gleichwohl kein wettbewerbswidriges Handeln der Beklagten vor. Denn die gesetzliche Regelung wende sich nur an Steuerberater und nicht an beliebige Dritte.
Auch eine Haftung als Anstifter scheide aus, da die Klägerin keinen Fall habe benennen können, bei dem ein Steuerberater tatsächlich das Angebot der Beklagten empfohlen habe:
"Die Klägerin hat jedoch keinen Fall vorgetragen, in dem Steuerberater entsprechend dem Angebot der Beklagten tatsächlich gegen Provision ihren Mandanten das Geschäftsmodell der Beklagten empfohlen haben. Es kann damit mangels festgestellter Haupttat nur von einer versuchten Anstiftung ausgegangen werden, die nach der entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 30 I StGB eine wettbewerbsrechtliche Haftung der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Teilnahme nicht begründen kann (...)
Zwar mag es unbefriedigend erscheinen, dass die Beklagte Steuerberater weiterhin zu berufswidrigem Verhalten auffordern kann, solange die Klägerin nicht – was nach Lage der Dinge unwahrscheinlich ist – Kenntnis davon erhält, dass ein Steuerberater von diesem Angebot tatsächlich Gebrauch gemacht hat. Dies ist jedoch die unvermeidbare Konsequenz der dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur wettbewerbsrechtlichen Haftung von Dritten, die nicht Normadressat einer verletzten Marktverhaltensregelung sind."(…)
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8. OLG Köln: Rechtsmissbräuchliche Abmahnung bei offensichtlich fehlendem Wettbewerbsverhältnis
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Wer Nahrungsergänzungsmittel für Menschen verkauft, steht nicht im Wettbewerb mit Verkäufern von Nahrungsergänzungsmitteln für Geckos. Das hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln mit Urteil vom 28.02.2020 entschieden.
Der Kläger betreibt einen Onlinehandel u.a. mit Nahrungsergänzungsmitteln für Geckos, während der Beklagte ebenfalls im Onlineversand u.a. Nahrungsergänzungsmittel für Menschen verkauft. Der Kläger hatte in seinem Onlineshop eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung verwandt. Der Beklagte hatte ihn deswegen abgemahnt und die Erstattung seiner außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt. Der Kläger wiederum hatte seinerseits einen Anwalt zur Rechtsverteidigung beauftragt.
Der Kläger wollte mit der Klage den Ersatz seiner Rechtsanwaltskosten erreichen. Er hat die Ansicht vertreten, dass die Abmahnung nicht nur unberechtigt gewesen sei und deshalb keinen Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten begründet habe, sondern dass die Abmahnung auch rechtsmissbräuchlich gewesen sei, sodass ihm nach § 8 Abs. 4 S. 2 UWG die zur Verteidigung erforderlichen Anwaltskosten zu erstatten seien.
Das Landgericht Köln hatte die Klage auf Erstattung der außergerichtlichen Anwaltskosten des Klägers in erster Instanz abgewiesen, weil es die Abmahnung zwar für unberechtigt, aber nicht für rechtsmissbräuchlich hielt. Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln hat mit Urteil vom 28.02.2020 das klageabweisende Urteil des Landgerichts Köln teilweise abgeändert und dem Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten aus einem Streitwert von 5.000 Euro zugesprochen.
Zur Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beklagte die Abmahnung auf einen Aspekt gestützt habe, der offensichtlich nicht geeignet sei, ein Wettbewerbsverhältnis zu begründen. Unternehmer, die Futter und Nahrungsergänzungsmittel für Geckos vertreiben, stünden offensichtlich nicht mit Unternehmern, die Nahrungsergänzungsmittel für Menschen vertreiben, im Wettbewerb. Aus dem offensichtlichen Fehlen des Wettbewerbsverhältnisses könne geschlossen werden, dass es dem Beklagten nicht - und erst recht nicht in erster Linie - auf das Abstellen des Wettbewerbsverstoßes angekommen sei.
Der Beklagte habe sich offensichtlich nicht inhaltlich mit der Website des Klägers befasst, weil ihm dann aufgefallen wäre, dass das Abstellen auf Nahrungsergänzungsmitteln zur Begründung eines Wettbewerbsverhältnisses abwegig ist.
Aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers konnte eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung des Klägers die wirtschaftlichen Interessen eines Shopbetreibers, der mit Geckos nichts zu tun hat, aber sonst eine Vielzahl diverser Produkte vertreibt, nicht berühren, vor allem nicht mit der Argumentation, dass beide Nahrungsergänzungsmittel vertreiben würden. Triebfeder und das beherrschende Motiv für die Abmahnung sei nicht die Unlauterkeit des gegnerischen Verhaltens und die eigene Betroffenheit als Mitbewerber gewesen, sondern es hätten offensichtlich andere sachfremde Motive im Vordergrund gestanden. Der Kläger erhalte daher gem. § 8 Abs. 4 S. 2 UWG Ersatz der für seine Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen.
Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 28.02.2020 - Az. 6 U 238/19
Quelle: Pressemitteilung des OLG Köln v. 25.03.2020
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9. OLG Köln: Werbung für Getränke: Preisauszeichnung darf ohne Flaschenpfand erfolgen
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Für Getränke muss nicht mit einem Gesamtpreis inklusive Flaschenpfand geworben werden. Ein Wettbewerbsverband, der dies von zwei großen Handelsketten erreichen wollte, unterlag nun auch in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht Köln.
Der Wettbewerbsverband hatte die Beklagten dazu verpflichten wollen, bei der Werbung mit pfandpflichtigen Getränken den Gesamtpreis inklusive Pfand anzugeben. Das Landgericht Köln hatte die Klagen in zwei parallel geführten Verfahren abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln mit Urteilen vom 06.03.2020 zurückgewiesen.
Der Kläger war der Auffassung, die Beklagten seien verpflichtet, bei der Bewerbung von Getränken einen Gesamtpreis einschließlich des Pfandes anzugeben. Soweit nach § 1 Abs. 4 der Preisangabenverordnung (PAngV) gerade kein Gesamtbetrag zu bilden sei, dürfe die Vorschrift mangels Grundlage im Recht der Europäischen Union nicht mehr angewendet werden. Dies ergebe sich aus Art. 7 Abs. 4 lit c) und Art. 3 Abs. 5 der europäischen Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken.
Dieser Auffassung folgte der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln nicht. Nach deutschem Recht - § 1 Abs. 4 PAngV - sei die Einbeziehung des Pfandes in den Gesamtpreis unzulässig. Es könne keinen lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruch auslösen, dass die Beklagten das deutsche Recht eingehalten hätten. Zwar habe die deutsche Vorschrift keine Grundlage im Recht der Europäischen Union. Sie sei jedoch geltendes deutsches Recht und daher vom Gericht gerade auch im Hinblick auf das in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes niedergelegte Rechtsstaatsprinzip anzuwenden.
Der deutsche Gesetzgeber habe trotz der geltend gemachten Bedenken bis heute keine Veranlassung gesehen, die Preisangabenverordnung zu ändern. Das Gericht sei an das geltende Recht gebunden und nicht befugt, eine bestehende Vorschrift zu ignorieren. Es könne sich insbesondere nicht aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz bewegen. EU-Richtlinien hätten keine unmittelbare Geltung in den EU-Mitgliedsstaaten und eine richtlinienkonforme Auslegung von § 1 Abs. 4 PAngV sei nicht möglich.
Darüber hinaus ist der Senat aber auch der Auffassung, dass die Vorschrift des § 1 Abs. 4 der PAngV außerhalb des vollharmonisierten Regelungsbereichs der europäischen Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken stehe und vom deutschen Gesetzgeber nicht gestrichen werden musste. Die Vorschrift verfolgt den umweltpolitischen Zweck, Benachteiligungen von Mehrweggebinden gegenüber Einweggebinden bei der Preisangabe zu vermeiden, weil andernfalls Mehrwegflaschen teurer erschienen. Der Senat betont auch, dass die Preisauszeichnung gemäß § 1 Abs. 4 PAngV die Interessen der Verbraucher wahrt und gerade nicht spürbar beeinträchtigt.
Die separate Auszeichnung von Warenpreis und zu zahlendem Pfand sei nicht nur marktüblich, sondern auch in hohem Maße transparent. Sie trage erheblich dazu bei, Rechenfehler bei der Ermittlung des relevanten Warenpreises ohne Pfand zu vermeiden.
Der Auffassung einiger Landgerichte, wonach § 1 Abs. 4 PAngV nicht mehr angewendet werden dürfe, sei nicht zu folgen. Es gebe keine tragende Begründung für die Forderung, geltendes Recht zu ignorieren.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen.
Urteile des Oberlandesgerichts Köln vom 06.03.2020 - Az. 6 U 89/19 und 6 U 90/19
Quelle: Pressemitteilung des OLG Köln v. 30.03.2020
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10. LG Köln: Umfang von Pflichttexten in Werbeflyern
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Wird für ein Arzneimittel auf einem zweiseitigen Werbeflyer geworben, so muss auf jeder Seite der heilmittelwerberechtliche Pflichttext ("Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie...") abgedruckt werden (LG Köln, Urt. v. 07.01.2020 - Az.: 81 O 90/19).
Die Beklagte bewarb ein Schmerzmittel mittels eines Werbeflyers. Die Seiten 8 und 9 waren eine Doppelseite.
Auf Seite 8 befand sich nachfolgender Werbetext:
"Bei Erkrankungen des Bewegungsapparates wird Betroffenen oft geraten, auf jeden Fall mobil zu bleiben. Doch wenn Muskeln, Knochen und Gelenke schmerzen, ist es leichter gesagt als getan. Hier hilft unser Exklusivangebot (...) Schmerzgel. Direkt auf die betroffenen Körperpartien aufgetragen, lindert es Schmerzen bei entzündlichen Erkrankungen, bei akutem Verschleiß sowie bei akuten Prellungen und Zerrungen. Und das schnell und gut verträglich. Das Beste dabei: Wenn Sie aus diesem Magazin bestellen, erhalten Sie (...) Schmerzgel bei (...) zum exklusiven Sonderpreis."
Auf Seite 9 wurde ebenfalls für das Produkt geworben, dort existierte auch ein Sternchenhinweis mit der Pflichtangabe "Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen sie die Packungsbeilage und fragen sie ihren Arzt oder Apotheker." erfolgte.
Das LG Köln stufte dies als nicht ausreichend ein, sondern bejahte einen Verstoß gegen § 4 Abs.3 HWG,
Entscheidend sei, ob die Seiten 8 und 9 als einheitliche Werbung vom Verbraucher wahrgenommen würden. Dann sei es ausreichend, den Pflichttext nur einmal abgedruckt zu haben.
Für eine solche Annahme spreche, dass der Leser die Reklame in Form einer Doppelseite wahrnehme und dies nicht selten auf Doppelseiten gestaltet sei.
Hier liege der Fall jedoch anders, so das Gericht. Aufgrund der konkreten Gestaltung handle es sich gerade nicht um eine einheitliche Werbung. Zwar treffe es zu, dass der beanstandete Text und die Werbung jeweils in der oberen Hälfte der Doppelseite abgebildet seien, also einander gegenüber gesetzt seien.
Es sei aber zu beachten, dass die beanstandete Werbung auf Seite 8 des Flyers mit einem eigenen Hintergrund unterlegt sei. Nämlich einem Foto von zwei Personen, die sich sportlich in der Natur betätigten, während die andere Werbung grün unterlegt sei, so wie die weiteren Werbungen für die Arzneimittel auf der Doppelseite.
Entscheidend sei insbesondere, dass die Werbung auf Seite 8 als Einführungstext für die gesamte Doppelseite und nicht als spezieller Text für die Werbung auf Seite 9 verstanden würde. Insofern hätte ein entsprechender
Warnhinweis zusätzlich auch auf Seite 8 abgelichtet werden müssen. Da dies nicht geschehen sei, liege ein Wettbewerbsverstoß vor.
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