Sie kennen sie. Davon zumindest geht sie aus. Als Angela Merkel am Ende des letzten TV-Duells während des Bundestagswahlkampfs 2013 noch einmal alle Argumente für sich in die Waagschale warf, fiel ihr als Krönung ihres Werbefeldzugs in eigener Sache noch dieser kleine, aber markante Satz ein: „Sie kennen mich.“ Acht Jahre ist das jetzt her. Aber mal ehrlich: Wie gut kannten Sie Merkel damals wirklich? Hätten Sie an diesem Abend im September 2013 bereits daran gedacht, dass diese alte Bekannte in zwei Lockdowns an wesentlichen Grundrechten rütteln würde? Jetzt, wo die Ära Merkel allmählich zu Ende geht, ist es Zeit, die Frau hinter der Nebelwand, ihre Politik und ihre Hinterlassenschaft noch einmal genauer ins Visier zu nehmen. Cicero-Autor Wolfgang Müller hat sich dieser großen Herausforderung angenommen. Sein Text „Ein Land im Halbschlaf“ bringt auf den Punkt, wie sehr die erste Kanzlerin der Republik das Land und seine politische Kultur in 16 Jahren verändert hat. Doch egal, wie Sie persönlich zu diesem Wandel während der Ära Merkel stehen mögen, in Zukunft werden wir uns alle andere Bekannte suchen müssen. Merkel jedenfalls, soviel steht fest, wird gehen, und im Wartestand steht bereits eine andere Kanzlerpartei: Bündnis 90/Die Grünen. Dort hatte man am vergangenen Wochenende seine Bundesdelegiertenkonferenz. Es war eine fast perfekte Parteitagsshow, wie unser Kommentator Hugo Müller-Vogg bilanziert: „Die Hauptakteure idyllisch in einem künstlich angelegten Garten mit Sonnenblumen platziert, die Pausen von zwei professionellen Moderatoren gefällig plaudernd überbrückt“ und: „Schluck-auf-Pausen“ für das Binnen-I gelassen. Auch die Grünen sind eben längst wie gute alte Bekannte. Oder hätten Sie etwas anderes von diesem Parteitag erwartet? Man kennt sich eben. So wie Yin und Yang, H&M, Robert und Annalena. Und natürlich wie Brüssel und Washington, um das Pärchenspiel einmal tagesaktuell auf die Spitze zu treiben. Joe Biden war nämlich zu Besuch bei den europäischen Partnern. Und alles scheint jetzt wieder so wie früher zu sein. Amerika kommt zurück nach Europa. Doch anstatt dass jetzt wieder alles gut ist, gießt George Friedman etwas Wasser in den transatlantischen Wein. „Wir schreiben das Jahr 2021, und es liegt an den Europäern zu erkennen, dass sie sich ihrer künftigen Rolle klar werden müssen, wenn sie an einem Bündnis mit den Vereinigten Staaten interessiert sind“, schreibt Friedman in seiner Analyse für cicero.de. Durchaus disharmonische Worte. Aber so kennen Sie uns, oder? Ihr Ralf Hanselle, stellvertretender Chefredakteur |