Liebe Leserin, Lieber Leser,
wer etwas Wichtiges zu sagen hat, macht keine langen Sätze! So warb „Bild“ einst für sich. Dazu gab’s Reklamemotive wie Moses mit den zehn Geboten, die bekanntlich auf zwei Steintafeln passten. Der schwarz-rote Koalitionsvertrag hat 144 Seiten mit 4588 Zeilen. Sie ahnen, worauf ich hinaus will?
Es ist nichts Himmlisches an diesem Vertrag. Schon die Sprache entstammt eher der Hölle deutscher Ministerialbürokratie. Etwa: „Wir unterstützen die Vorschläge der EU-Kommission im Rahmen des Omnibus-Paketes zur Vereinfachung des CBAM aktiv.“ Oder: „Mit den notwendigen Änderungen des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) sorgen wir für eine rechtssichere Entnahme von Wölfen.“ Sprechen Sie jetzt bitte mehrfach „BNatSchG“ laut vor sich hin und stellen Sie sich vor, einen Wolf zu entnehmen!
Seit dem Wochenende besonders umstritten ist ein eigentlich schlichter Vertragssatz, der in der Erkenntnis mündet, dass „ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar“ sei. Prompt fragte die „Bild am Sonntag“ Friedrich Merz, ob das nun was wird mit den 15 Euro nächstes Jahr. Merz antwortete: „Das haben wir so nicht verabredet.“ Die SPD war daraufhin obligatorisch empört, denn der Mindestlohn ist sowas wie ihr Heiliger Gral. Erste Koalitionskrise?
Zumindest merken Sie schon jetzt: Je weniger man zu sagen hat, umso wichtiger wird es, alles möglichst verklausuliert in einen Aufsatz zu packen, der mehr versteckt, als er klärt. Damit ein Fast-Kanzler Merz am Ende keck schmunzeln kann: „Ätschi, so steht’s aber nicht drin.“
Die schwarz-rote Koalition hat sich mit eigener Geheimsprache verewigt: Mit „Wir werden“ fangen Projekte mit höchster Priorität an. Egal wie albern die Idee – da wird was draus, weil sich Union und SPD offenbar einig sind. „Wir wollen“ – so starten Projekte, die vielleicht Chancen haben. Vielleicht auch nicht, weil ja alles unter „Finanzierungsvorbehalt“ steht, der übrigens erst- und einmalig auf Seite 51 des Vertrags vorkommt und das wichtigste Wort der nächsten vier Jahre wird. |