 | | |  | | 16. Mai 2025 | | Deutscher Alltag | | | |
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| | | | | dieser Tage habe ich irgendwo eine kleine Betrachtung über den Begriff âNeustartâ gelesen. Ich glaube, es ist ein Zeichen des fortschreitenden Alters, dass man sich über den Sprachgebrauch anderer Leute wundert bis aufregt. Peter Handke hat das allerdings schon als junger Mann getan und als alter Mann immerhin den Nobelpreis dafür bekommen (wenn auch nicht nur für seine Aufregung über die Sprache anderer). Auch Karl Kraus hat groÃe Teile seines literarischen Lebens damit zugebracht. Sein phänomenales âDie letzten Tage der Menschheitâ ist eine geniale GroÃmontage des giftigen bis tödlichen Gebrauchs oder Missbrauchs von Sprache, eine Ausstellung dessen, was Worte anrichten können. Sätze haben manchmal eine schlimmere Wirkung als Granaten, weil eine Granate nur einmal explodiert, ein übler Satz aber bleibt und immer wieder benutzt werden kann.
Nun ist der Begriff âNeustartâ nicht weiter schlimm, er wird andauernd gebraucht, nicht zuletzt von jenen, für die sich jede Form der Kommunikation auf Eins/Null zurückführen, also digitalisieren lässt. Gerade wegen der allgegenwärtigen Computerei ist âNeustartâ längst Teil der Alltagssprache geworden, so wie âmegaâ als Umschreibung für âin Ordnungâ oder âgenauâ in seiner Bedeutung als zustimmendes Füllgeräusch (âäähem, genauâ). Andererseits bin ich mittlerweile, gerade was Alltagsbegrifflichkeiten angeht, ein ziemlicher Nerd geworden. Das mag daran liegen, dass Karl Kraus in meinem Alter schon fünf Jahre lang tot war. Ich bemühe mich dennoch meistens, die Menschen, mit denen ich zu tun habe, nicht zu belehren, weil ich früher selbst ältere Männer, die einem Dinge erklärt haben, ziemlich unmöglich fand.
Dennoch: Jeder Start ist ein Neustart, weil das Wesen des Starts, des Beginns, genau darin liegt, dass etwas Neues gemacht wird, etwas anfängt. âIch mache einen Neustartâ ist also so wie âIch trinke Wasserwasserâ. Versuchen Sie nicht, mir zu erklären, dass das mit dem Neustart ganz anders ist. Neustart ist eine Mega-Phrase. Genau.
Es lohnt sich allerdings, ein wenig über das Neue nachzudenken. Nicht im Neustart, sondern überhaupt. Wie lange ist zum Beispiel eine Hose neu? Wenn man sie gekauft und dann zwei Jahre im Schrank hat liegen lassen, bevor man sie das erste Mal anzieht: Ist sie neu, weil man sie selbst praktisch nie angehabt hat? Oder nur neuwertig? Und wie ist das mit Friedrich Merz? Merz als solcher ist nicht neu, als Kanzler schon. In meiner Wahrnehmung kollidiert bei Merz das Alte mit dem Neuen.
Es gibt Leute, die sagen, eine neue (sic!) Aufgabe könne jemanden zu einem anderen, gar zu einem neuen Menschen machen. Ich habe im Laufe meines journalistischen Lebens ein paar Amtsinhaber und Inhaberinnen etwas näher kennengelernt. Gerhard Schröder zum Beispiel wurde im Verlauf seiner Kanzlerschaft kein neuer Schröder, sondern ein Schröder, bei dem sich das Alte (âIch will da reinâ â und drinbleiben, weil ich ich bin) immer stärker ausprägte. Angela Merkel wiederum verstand es, die Möglichkeiten im Amt so auszunutzen, dass man das Gefühl hatte, sie wolle den Eindruck erwecken und erhalten, eigentlich nie eine Neue gewesen zu sein (âSie kennen michâ).
Die neue Regierung ist zweifelsohne noch neu. Sie wird es noch bis ungefähr zum Frühsommer bleiben. Dann wird man sich an âBundeskanzler Friedrich Merzâ gewöhnt haben. Vielleicht auch an âFinanzminister Lars Klingbeilâ, auch wenn das keine so selbstverständliche Amts- und Namenszusammenziehung ist, wie es bei âFinanzminister Theo Waigelâ oder âInnenminister Otto Schilyâ der Fall war. âFinanzminister Klingbeilâ erinnert mich an âFinanzminister Lafontaineâ, der sich ebenfalls zuerst die Partei und dann die Welt untertan machen wollte, was bekanntlich langfristig dazu führte, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht nicht in den Bundestag kam. âAuÃenminister Wadephulâ hat im Moment noch die Assoziationsqualität, die âVerteidigungsministerin Kramp-Karrenbauerâ im Juli 2019 hatte. Damals dachte man, daraus könnte was werden. Wurde es dann aber nicht. Mal sehen, ob Wadephul als AuÃenminister nach den Sommerferien noch als so neu gilt, wie es Heiko Maas vier Jahre lang schaffte.
In der Bundesrepublik war es lange Zeit so, dass man das Alte als das Bewährte verstand. Adenauer regierte 14 Jahre, Schmidt acht, Kohl 16 und Merkel nahezu ewig. Neu, also kurz, waren Ludwig Erhard und Olaf Scholz. Veränderung ist irgendwie undeutsch. Wenn konservative Politiker schlau sind, verkaufen sie, wie schon gesagt, das Alte als das Bewährte. Wenn sie doof sind, verkaufen sie das Alte als das Neue. Beispiel Bayern: Manche CSU-Politiker sind zwar nicht besonders schlau, aber dennoch erweckt die CSU in Bayern ziemlich erfolgreich den Eindruck, sie sei bei jeder Wahl ebenso neu wie bewährt. Nicht wenige Bayern wissen, dass der Slogan âLaptop und Lederhoseâ für die CSU in Wirklichkeit âLederhose und Lederhoseâ bedeutet (neuerdings âLederhose und Brodwärschtâ).
Aus alledem folgt, dass die neue Regierung in Berlin so lange als neu gelten wird, bis sie mal ein paar Dinge hingekriegt hat, welche die Ampel vor ihr nicht oder nicht so hingekriegt hat. Merzâ Kanzlerwahl zum Beispiel war sehr neu und wird das noch lange bleiben. An Rentenreform, Grenzkontrollen und Haushalt wird sich erweisen, ob man nicht vielleicht doch bald über einen Neustart nachdenken muss. Oder ob möglicherweise auch ein Start ausreichen würde. | |
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Carolin Emcke im Gespräch. | | | |
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