Das TOUR Tech-Briefing zur 18. Etappe |
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Fotograf: Getty Velo |
Vom 1. bis zum 23. Juli messen sich die besten Radsportler der Welt bei der Tour de France. Über Sieg und Niederlage entscheiden dabei nicht nur die Beine, sondern auch das Material. Das TOUR Tech-Briefing zur 18. Etappe. |
Tour de France 2023 - 18. Etappe: Moutiers - Bourg-en-Bresse | 184,9 Kilometer |
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Das Höhenprofil der 18. Etappe der Tour de France 2023, Fotograf: A.S.O. |
Die dicken Berge sind erstmal geschafft und auf der 18.Etappe der Tour de France 2023 haben die Organisatoren ein Herz für die schweren Jungs im Feld: Die Strecke ist weitgehend flach, auf 185 Kilometern kommen nur 1300 Höhenmeter zustande. |
Potentiell gibt es deshalb einen Sprint auf der 18. Etappe. Das Feld der Sprintspezialisten ist zwar schon etwas ausgedünnt. Aber das eröffnet den Männern, die bislang knapp an einer Top-Platzierung vorbeischrammten, mehr Raum. Favorit ist indes einmal mehr der bislang schnellste Mann der Tour de France 2023, Jasper Philipsen. |
Fürs Finale gesetzt sind Aero-Rennräder, alles andere ergibt bei Top-Speed keinen Sinn. Schließlich entfallen bei 65 km/h rund 90 Prozent des Widerstands auf den Luftwiderstand. Wobei das Finale auf den letzten 100 Metern auch einige Meter ansteigt, was die Höchstgeschwindigkeit zum Ende etwas einbremst und ein angepasstes Timing erfordert, damit nicht kurz vor dem Zielstrich die Kraft ausgeht. |
Sprinter erleben dreimal mehr Luftwiderstand |
Ein Punkt, den wir bislang nicht ausführlich beleuchtet haben, ist die Bekleidung. Aero-Einteiler sind mittlerweile Standard auf einer Flachetappe. Das liegt daran, dass die Fahrer selbst den größten Teil des Luftwiderstands verursachen. Mit der Bekleidung lässt sich die Aerodynamik des Fahrers beeinflussen – und zwar signifikant. Gegenüber einer guten Trikot-Hose-Kombination kann ein perfekt abgestimmter Einteiler bei 65 km/h Leistung in der Größenordnung von 50-100 Watt einsparen. Mit dem Tempo steigt der Widerstand zur Überwindung des Luftwiderstands massiv an (in der dritten Potenz der Geschwindigkeit): Bei Tempo 65 ist die Leistung zur Überwindung des Luftwiderstands dreimal so hoch wie bei Tempo 45! Aus einer 20-Watt-Differenz bei Tempo 45 wird so eine 60-Watt-Differenz bei Sprintgeschwindigkeit. |
Auch noch so kleine Details können in der Summe daher große Wirkung haben. Mark Cavendish, der leider wegen seines Sturzes ausgeschieden ist, hatte als erster Straßensprinter konsequent die Aero-Strategie der Zeitfahrer aufs Sprinten übertragen. |
Beim Gestalten der Anzüge kommen verschiedene Strategien zum Einsatz: Ein perfekter faltenfreier Sitz ist der erste Schritt. Die Anzüge der Top-Fahrer sind daher maßgeschneidert (in einem Wertungstrikot zu starten kann nachteilig sein, weil der Team-Anzug im Zweifel besser abgestimmt ist). Die zweite Maßnahme ist noch raffinierter: Die Oberfläche des Anzugs kann auf die angepeilte Renngeschwindigkeit eingestellt werden. Dies geschieht über die Oberflächenrauigkeit. Mit dem richtigen Maß Rauigkeit an der richtigen Stelle (die dicken Oberschenkel verlangen nach einer deutlich feineren Struktur als die dünnen Oberarme der Radprofis; die Oberarmstoffe haben oftmals erkennbares Feinrippmuster), lässt sich gezielt eine turbulente Grenzschicht erzeugen – das sind Luftverwirbelungen, die der oberflächennahen Strömung frische Energie aus der körperferneren Strömung zuführen, was letztlich dazu führt, dass die Strömung etwas länger der Kontur des Körpers folgen kann. |
Golfballeffekt auch im Sprint bei Tour de France 2023 wirksam |
Liegt die Strömung durch geschickt platzierten Stoff länger am Körper an, sind die Druckdifferenzen vor und hinter dem Körper geringer, diese spürt der Fahrer als weniger Luftwiderstand. Der Effekt ist auch als Golfballeffekt bekannt; die Dellen im Ball lassen ihn weiter fliegen. Der Herausforderung bei den Zeitfahranzügen besteht darin, den richtigen Stoff an der richtigen Stelle zu platzieren, um den Effekt für den relativ sperrigen menschlichen Körper zu maximieren. |
Bekleidung ist auch grundsätzlich schneller als nackte Haut, weshalb in Zeitfahren auch langarmige Anzüge dominieren. Auch die Hosenlänge hat zugenommen. Bei Jumbo-Visma schauen gerade noch die Knie raus. Lange Aero-Socken verhüllen die untere Hälfte des Beines. |
Anders als zu den Rennrädern liegen uns zu den konkret genutzten Anzügen in der Tour de France und den Fahrern in den Anzügen keine Daten vor. Aus eigenen Versuchen im Windkanal wissen wir aber, dass auf dem Feld einiges zu holen ist. |
Zahl des Tages: 14 Hundertstelsekunden |
Wer hat das schnellste Rennrad für das erwartete Sprintfinale? Die üblichen Verdächtigen. Der mutmaßlich schnellste Mann, Jasper Philipsen, hat das schnellste Rad; im Sprint über 200 Meter liegt das Canyon Aeroad 14 Hundertstelsekunden vor einem schwachen Sprinterrad, wie dem Bianchi Specialissima. Das Cervelo S5 von Wout van Aert ist genauso schnell wie das Canyon, weitere Modelle folgen mit knappem Abstand. |
Das (fast) vollständige Feld im Sprint über 200 Meter |
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*, Fotograf: Robert Kühnen |
*) Die Berechnungen beruhen auf den von TOUR in Labor und Windkanal getesteten Rädern. Die Maschinen bei der Tour de France können in Details davon abweichen. Auch Last-Minute-Prototypen konnten wir natürlich noch nicht untersuchen. Hintergründe zur Simulation. |
Unser Experte |
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Fotograf: Robert Kühnen |
Robert Kühnen ist studierter Maschinenbauer, schreibt für TOUR über Technik- und Trainingsthemen und entwickelt Prüfmethoden. Die Simulationsrechnungen verfeinert Robert seit Jahren, sie werden auch von Profi-Teams genutzt. |
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