Das TOUR Tech-Briefing zur 1. Etappe der Tour de France 2024 |
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Fotograf: picture alliance / Associated Press / Etienne Garnier |
Vom 29. Juni bis zum 21. Juli messen sich die besten Radsportler der Welt bei der Tour de France. Über Sieg und Niederlage auf den Straßen Frankreichs entscheiden dabei nicht nur die Beine, sondern auch das Material. Das TOUR Tech-Briefing zur 1. Etappe. |
Tour de France 2024 - 1. Etappe: Florenz - Rimini | 206 Kilometer |
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Das Höhenprofil der 1. Etappe, Fotograf: A.S.O. |
Die erste Etappe ist ein Hammer! Nach 28 Kilometern ist das Einrollen in die 111. Tour de France bereits beendet und der erste von zahllosen Anstiegen bäumt sich vor den Fahrern auf, die sich auf 3600 Höhenmeter summieren werden. Es geht am ersten Anstieg zwar nur auf 930 Meter und die durchschnittliche Steigung ist mit 5,1 Prozent über 12,5 Kilometer auch nicht gewaltig. Aber ab Kilometer 38,9 wird es abschnittsweise durchaus steil. Oben am Col de Valico Tre Faggi wird das Feld nicht geschlossen ankommen. |
Zu erwarten sind zwei Rennen: das um den Etappensieg und das erste Gelbe Trikot sowie der erste Schlagabtausch der Fahrer fürs Gesamtklassement. Ob Ausreißer überhaupt wegkommen, wird davon abhängen, wie die Klassementfahrer agieren. Am wahrscheinlichsten scheint eine defensive Taktik. Gewinnen lässt sich die Tour de France auf dieser ersten Etappe nicht, wohl aber verlieren. Das wird die Favoriten unter Druck setzen und Ausreißer vor das Problem stellen, nicht von den Top-Fahrern wegzukommen. |
Was macht Tadej Pogacar? |
Richtig heiß wird das Rennen voraussichtlich ab Kilometer 130. In schneller Folge sind vier Anstiege zu bewältigen, wovon der erste der härteste ist. Schmale Straßen und schlechter Asphalt machen die Berg- und Talfahrt trickreich. Im Prinzip ist es eine nervöse Klassikerstrecke vom Format Lüttich-Bastogne-Lüttich. Deshalb ist zu erwarten, dass die Klassikerfahrer im Feld, die nicht auf Gesamtwertung fahren, hier aktiv werden. Dem Klassikerkönig Mathieu van der Poel wird der Anstieg zur Cote de Barbotto aber zu lang sein. Geht hier schon die Post ab, sind kletterstarke Allrounder im Vorteil. Tadej Pogacar könnte hier schon den Turbo zünden. Stärker als der Gesamtfavorit ist kein Fahrer im Feld auf diesem Terrain einzuschätzen. |
Soweit das taktische Tableau. Was aber heißt das für das Material auf der heutigen Etappe? Schließlich ist das hier ja das Tech-Briefing. Wir wollen ein Gefühl dafür vermitteln, vor welchen Fragen die Renningenieure stehen, welche Optionen im Spiel sind und welche Teams eventuell bessere Karten haben als andere aufgrund ihrer Ausstattung. |
Wer ist heute besser dran? Ein Fahrer, der zwischen Berg- und Aerorad wählen kann, oder einer, der sich keinen Kopf machen muss, wie Primoz Roglic, weil er ein Rad für alles fährt, das Specialized Tarmac SL8, von Tour zum besten Rennrad der Welt gekürt? |
3600 Höhenmeter? Da muss doch ein Bergrad optimal sein, oder? Um eine Antwort auf diese Frage zu geben, gehen wir in unserer Simulation davon aus, dass es tatsächlich bereits an der Cote de Barbotto zum offenen Schlagabtausch kommt und die 70 Kilometer bis ins Ziel voll gefahren werden – zum Beispiel von einem kletterstarken Ausreißer. Welches Rad wäre unter diesen Bedingungen das schnellste? |
Zahl des Tages: 2:39 Minuten |
2:39 Minuten verliert das langsamste Rad in unserer Betrachtung, das Cervelo R5, gegenüber dem schnellsten, dem Canyon Aeroad CFR. |
Der wahre Unterschied dürfte noch ein bisschen größer sein, da das Canyon überarbeitet wurde und mutmaßlich etwas leichter ist, als es in unserer Liste steht. Die Gewichte werden wir aktualisieren, sobald wir Räder im Fahrerlager an der Waage hatten. Für die heutige Berechnung sind diese Feinheiten aber nicht entscheidend. Denn die Simulation zeigt sehr klar, dass bei längerer Flucht die aerodynamischen Attribute mehr Wirkung zeigen, als ein bisschen weniger Gewicht. |
Das (fast) gesamte Feld im Überblick* |
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Fotograf: Robert Kühnen |
*) Die Berechnungen beruhen auf den von TOUR in Labor und Windkanal getesteten Rädern. Die Maschinen bei der Tour de France können in Details davon abweichen. Auch Last-Minute-Prototypen konnten wir natürlich noch nicht untersuchen. Hintergründe zur Simulation. |
In der Gesamtabrechnung liegen die Aeroräder rechnerisch weit vorne. Daran haben die finalen 26 fallenden bis flachen Kilometer entscheidenden Anteil. Wer einen Vorsprung von der Cote de San Marino ins Ziel in Rimini retten will, braucht Material, das hilft, das Tempo allzeit hoch zu halten und die Meute der Verfolger auf Distanz. Die Fahrer, die auf Attacke spekulieren, werden daher das gesamte Aero-Repertoire ziehen. Schnelles Rad, Aero-Einteiler, Aero-Helm. Der Luftwiderstand ist unerbittlich und Feind Nummer eins. |
Doch die Wahl des richtigen Rades ist nicht ganz so eindeutig, wie es unsere Zahlen suggerieren. Das liegt daran, dass im Moment der Attacke Steigungen von über zehn Prozent zu erwarten sind. Punktuell ist hier ein Leichtrad im Vorteil – jedenfalls dann, wenn das Aerorad Übergewicht hat. Weshalb Visma | Lease a Bike vielleicht doch Bergräder auf Basis des Cervelo R5 an den Start bringen wird. Betrachten wir nur die Bergaufabschnitte im skizzierten Finale und lassen die Abfahrten außen vor, summiert sich der Vorsprung des leichtesten gegenüber dem schwersten Rad in unserer Liste auf 53 Sekunden. Ein Kapitän, der beschützt wird, kann bewusst Aero-Nachteile akzeptieren, wenn er davon ausgeht, nie allein dem Wind ausgesetzt zu sein. |
Ein Ausreißer hingegen will in solch einem Szenario ein leichtes und möglichst aerodynamisches Rad. Leicht, um bei der Attacke steil bergauf keinen Nachteil zu haben und aerodynamisch, um den Vorsprung sicher ins Ziel zu tragen. Die Maschinen von Van Rysel oder Specialized wären hierfür eine gute Basis. |
Lassen wir uns überraschen, welche Räder die Teams an den Start bringen und welche taktische Variante zum Zug kommt. |
Unser Experte |
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Fotograf: Robert Kühnen |
Robert Kühnen ist studierter Maschinenbauer, schreibt für TOUR über Technik- und Trainingsthemen und entwickelt Prüfmethoden. Die Simulationsrechnungen verfeinert Robert seit Jahren, sie werden auch von Profi-Teams genutzt. |
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