Das TOUR Tech-Briefing zur 10. Etappe der Tour de France 2024 |
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Bei der Tour de France 2013 kam es auf dem Weg nach Saint-Amand-Montrond zu Windstaffeln, Fotograf: Getty Images/Tim de Waele |
Vom 29. Juni bis zum 21. Juli messen sich die besten Radsportler der Welt bei der Tour de France. Über Sieg und Niederlage auf den Straßen Frankreichs entscheiden dabei nicht nur die Beine, sondern auch das Material. Das TOUR Tech-Briefing zur 10. Etappe. |
Tour de France 2024 - 10. Etappe: Orleans - Saint-Amand-Montrond | 187,3 Kilometer |
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Das Höhenprofil der 10. Etappe, Fotograf: A.S.O. |
Flacher wird es nicht mehr: Auf dem Weg nach Saint-Amand-Montrond sind auf der 10. Etappe nur 950 Höhenmeter zu erklettern – über 187 Kilometer summieren sich auch Maulwurfshügel. Auf dem Papier ist es eine Etappe, bei der Mark Cavendish seinen 35 Siegen einen weiteren hinzufügen könnte, zumal er am 12. Juli 2013 hier schon siegreich war. Die Zielgerade ist 500 m kurz, zwischen Teufelslappen und 500-Meter-Marke sind vier Kurven zu bewältigen. Clevere Positionierung ist daher noch wichtiger als sonst, was der Fahrweise von Cavendish entgegenkommt. |
Sollte kräftiger Wind wehen, könnte dieser in den offenen Ebenen ein Wörtchen mitreden und dafür sorgen, dass das Feld in Windstaffeln zersplittert. Bläst starker Wind von der Seite, erleben die Fahrer das, was für unseren Windkanaldummy täglich Brot ist: der Fahrtwind trifft dann nicht frontal auf die Fahrer, sondern mehr oder minder schräg von der Seite. Die Fahrer staffeln sich dann schräg quer über die Straße. Mit dieser versetzten Fahrweise lässt sich der Windschatten bei Schräganströmung maximieren. Hart arbeitet dann nur der Fahrer ganz außen am Rand der Staffel. Durch schnelles Kreiseln kann solch eine Windstaffel ein Loch reißen. |
Dies entsteht, weil die Fahrer am Ende der Staffel “auf die Windkante genommen werden” – wer in der Staffel keinen Platz mehr hat, fährt genauso exponiert, wie der jeweils Führende der Staffel. Allerdings mit dem Unterschied, dass keine Ablösung kommt. Deshalb zerreißt das Feld meist am Ende der Staffel. Abgehängte Fahrer bilden zusammen neue Staffeln. So kommt es, dass sich das Feld in kleine Grüppchen zerlegt. Mannschaften, die auf Zack sind und einen guten Wetterfrosch haben, der die Windrichtung genau ansagen kann, provozieren den Effekt bisweilen, formieren bei Richtungswechseln rasch in Mannschaftsstärke eine Windstaffel und überraschen damit Konkurrenten. |
Der Haupteffekt entsteht durch clevere Fahrweise, aber man kann auch mittels Technik nachhelfen: Aero-Rennräder und Aero-Laufräder bringen bei viel Wind die größten Vorteile. Segelfreudige Vorderräder können sogar vom Wind angetrieben werden. Eine optimal gerüstete Mannschaft kann so einen Unterschied machen. Wenn Kopf, Beine und Material optimal zusammen wirken, kann auch auf unscheinbarer Strecke viel Zeit rausgefahren werden. |
Zahl des Tages: 10 Sekunden |
Tempofahrt auf der Windkante: 10 Sekunden Vorsprung sind auf fünf Kilometern alleine durch die Radtechnik drin – wenn wir die aerodynamischen mit den wenig aerodynamischen Rädern vergleichen. Real sind die erzielbaren Abstände größer, weil Motivation und Fahrtechnik mehr bewirken als die Radtechnik. |
Das (fast) gesamte Feld im Überblick* |
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Fotograf: Robert Kühnen |
*) Die Berechnungen beruhen auf den von TOUR in Labor und Windkanal getesteten Rädern. Die Maschinen bei der Tour de France können in Details davon abweichen. Auch Last-Minute-Prototypen konnten wir natürlich noch nicht untersuchen. Hintergründe zur Simulation. |
Die Tabelle zeigt die Fahrzeiten über fünf Kilometer, wenn ein Team hart attackiert. Aero-Räder fahren einen Vorsprung heraus. |
Schotter-Rückblick |
Wie auf der Windkante war auch bei der Schotteretappe am Sonntag taktische Übersicht gefordert. Wie schnell ein Rückstand entstehen kann, erlebten auch die Spitzenfahrer. Einmal schlecht positioniert, und schon lag Primoz Roglic am zweiten Schotterabschnitt plötzlich um über 30 Sekunden zurück. Letztlich haben die Top-Mannschaften aber alle Krisensituationen entschärft, den Rückstand von Roglic genauso wie den Platten von Jonas Vingegaard, der auf dem Rad seines Mannschaftskollegen Jan Tratnik ins Ziel kam. Visma| Lease a Bike zeigte eine bemerkenswert gute Mannschaftsleistung, fuhr selbstbewusst von vorne und hatte augenscheinlich auch dickere Reifen aufgezogen als sonst üblich. Tadej Pogacar attackierte wie erwartet. Letztlich erwies sich der Kurs aber als zu leicht, um mal eben allen auf und davon zu fahren, zumal sich Vingegaard rein defensiv verhielt und kein Interesse zeigte, seiner Mannschaft zu enteilen. Im Gesamtklassement passierte daher nichts. |
Top-Aero-Werte der Stars |
Zurückblicken möchten wir auch kurz aufs erste Zeitfahren. Die Siegerzeit von Remco Evenepoel unterbot unsere schnellste Simulationszeit um zwei Sekunden. Dies ist ein starker Hinweis, wie verrückt gut die Aerodynamik von Remco Evenepoel ist. Wir hatten mit einem Schnitt von knapp 400 Watt kalkuliert, eine Leistung, die Evenepoel schon vor zwei Jahren bei einem Zeitfahren bei der Algarve-Rundfahrt erzielte und (ganz kurz) auf Strava dokumentiert hatte, bevor der Eintrag wieder gelöscht wurde. Eine Aero-Power von 205 Watt für Tempo 45 scheint damit absolut realistisch, was einem cwA-Wert von 0,175 entspricht – ein Traumwert und der Schlüssel zu Top-Leistungen. |
Dass Aerodynamik der Schlüssel für seinen Erfolg ist, lässt sich auch daraus ableiten, dass er am Berg nicht mit den Allerbesten mithalten kann, trotz relativ niedrigen Gewichts. Sein Körperbau scheint ideal fürs Zeitfahren. Der Oberkörper liegt hinter dem massiven Aero-Helm, der zusammen mit den Armen den Luftstrom um den Körper lenkt. Aber auch die anderen Top-Fahrer sahen sehr, sehr schnell aus. Roglic rettete das Zeitfahren mit einer sehr schnellen zweiten Hälfte, was ebenfalls für gute Aerodynamik und Abfahrtstechnik spricht – beide wichtigen Faktoren im Hinblick auf das Abschlusszeitfahren nach Nizza. |
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Unser Experte |
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Fotograf: Robert Kühnen |
Robert Kühnen ist studierter Maschinenbauer, schreibt für TOUR über Technik- und Trainingsthemen und entwickelt Prüfmethoden. Die Simulationsrechnungen verfeinert Robert seit Jahren, sie werden auch von Profi-Teams genutzt. |
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