Das TOUR Tech-Briefing zur 19. Etappe der Tour de France 2024 |
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Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar werden die 19. Etappe wohl bestimmen, Fotograf: Getty Images/Tim de Waele |
Vom 29. Juni bis zum 21. Juli messen sich die besten Radsportler der Welt bei der Tour de France. Über Sieg und Niederlage auf den Straßen Frankreichs entscheiden dabei nicht nur die Beine, sondern auch das Material. Das TOUR Tech-Briefing zur 19. Etappe. |
Tour de France 2024 - 19. Etappe: Embrun - Isola 2000 | 144,6 Kilometer |
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Die 19. Etappe ist eine brutale Klettertour über drei Bergriesen, Fotograf: A.S.O. |
Vorhang auf zum großen Finale in drei Akten. Akt eins: Klettern bis in den Himmel. 4400 Höhenmeter haben die Fahrer vor der Brust, verteilt auf nur 145 Kilometer. Intensiver ist nur noch die 20. Etappe, die 4600 Höhenmeter auf 133 Kilometern bereithält. Aber auf der 19. Etappe sind die Anstiege länger, und es geht höher hinaus, denn die Cime de la Bonette ist die höchste Asphaltstraße Frankreichs. |
Die Etappe hat das Potential, das Gesamtklassement aufzumischen. Einen Moment der Schwäche kann sich keiner der Favoriten auf Gelb leisten, denn ein Absturz im Klassement wäre die Folge. Ist dies die Etappe, die Visma | Lease a Bike für einen Großangriff auf Gelb nutzen will? Vermutlich ja. Aber zum Plan gehören natürlich auch die Beine und Gelegenheiten. |
Langes Ausscheidungsfahren erwartet |
Die Top-Teams werden von Anfang an vorne fahren, ein langes Ausscheidungsfahren einleiten und auf potentielle schwache Momente des Gegners warten. Die Frage wird sein, wie gut die Helfer über den ersten Berg kommen und wer vom Team noch an der Cime vorne dabei ist. |
Mannschaftspower könnten die Kapitäne dort gut gebrauchen, denn immerhin 40 Kilometer Abfahrt stehen vor dem Schlussanstieg an; auch dort können echte Zeitunterschiede gemacht werden. Die Abfahrt ist im oberen Bereich schmal und technisch, sie hat Highspeed-Passagen aber auch Tret-Abschnitte. Bike-Handling, Motor-Power und Aerodynamik können einen Unterschied machen. Und ein Ausrutscher das Rennen beenden. |
Sollten die Kapitäne schon vor der Cime unter sich sein, sind sehr aggressive Szenarien denkbar. Das Steilstück zum Ende der Cime ist ein Kicker, wie Pogacar sie liebt. Eine Attacke wie am Galibier wäre möglich. Der Abfahrt käme dann enorme Bedeutung zu und am Ende wartet ja noch ein Schlussanstieg von 16 Kilometern Länge. |
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Der höchste Berg der Tour ist relativ gleichmäßig zu fahren. Das steilste Stück kommt zum Schluss., Fotograf: A.S.O. |
Zentral wird auch die Frage sein, wer mit der Höhe am besten zurechtkommt. Oberhalb von 2400 Metern sind die Effekte der dünnen Luft ausgeprägt. Die Teams präparieren sich zwar mit Höhenlagerketten, aber keiner der Favoriten hatte einen störungsfreien Anlauf auf die Tour. Getestet wurde die Fähigkeit bislang nur am 2642 Meter hohen Galibier auf der vierten Etappe. |
Die Bedingungen für absolute Hochspannung sind also gesetzt. Was bedeutet das fürs Material? An welchen Schrauben können die Teams noch drehen, um die Fahrt über die Bergriesen schneller zu machen? |
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Schlussanstieg nach Isola 2000 – nicht super steil, aber lang, Fotograf: A.S.O. |
Logischerweise werden die Teams angesichts der Kletterei versuchen, möglichst leichte Räder an den Start zu stellen. Aber das Mindestgewicht von 6,8 kg, das die UCI vorschreibt, reizen nicht viele aus. Sponsor-Verpflichtungen verhindern, dass die Räder mit Tuning-Teilen auf dieses Gewicht gebracht werden. Der Mittelwert unserer Aufstellung liegt bei 7,3 kg. |
Also bleibt die Stellschraube Aerodynamik. Wer zwei Räder zur Wahl hat muss auch heute wieder entscheiden, welches Rad es sein soll. Greift Vingegaard wieder zum aerodynamischen S5 mit 1x12 Set-up, um sein Aero-Bike so leicht wie möglich zu machen, wie am Galibier? Wenn das Szenario “isolierter Kapitän” bei Visma für wahrscheinlich erachtet wird, wäre das das Mittel der Wahl, um im potentiellen Kampf Kopf-an-Kopf mit Pogacar und Evenepoel bestmöglich für die Talfahrt gerüstet zu sein. Aus den bisherigen Berechnungen wissen wir, dass nur in Steilstücken von 9 Prozent und mehr Aerodynamik kein Faktor mehr ist. |
Technisch ist Vingegaard ein sehr guter Abfahrer. Zeit verloren hat er im bisherigen Verlauf der Tour eher in den flacheren Abschnitten der Abfahrten. Das spricht aus seiner Sicht dafür, die Karte Aerodynamik auszureizen. Zumal Vingegaard ja angreifen muss, um die Tour zu gewinnen. |
Um der Materialfrage auf den Grund zu gehen, simulieren wir eine Attacke 900 Meter vor der Cime und eine Solofahrt bis ins Ziel. |
Zahl des Tages: 1:50 Minuten |
1:50 Minuten spart Vingegaard, wenn er das Bergrad stehen lässt und das schnelle S5 über die Berge treibt. Wir gehen in der Simulation davon aus, dass er ein 1x12-Set-up wählt und die Maschine so auf 7,3 kg bringt. Kurioserweise bilden die beiden Räder, die Vingegaard zur Verfügung hat, das gesamte Spektrum unseres Szenarios ab. |
Das (fast) gesamte Feld im Überblick* |
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Fotograf: Robert Kühnen |
*) Die Berechnungen beruhen auf den von TOUR in Labor und Windkanal getesteten Rädern. Die Maschinen bei der Tour de France können in Details davon abweichen. Auch Last-Minute-Prototypen konnten wir natürlich noch nicht untersuchen. Hintergründe zur Simulation. |
Tabelle: In unserer Simulation der 19. Etappe ist das Cervelo S5 mit einem 1x12-Set-up das rechnerisch schnellste Rad. |
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Unser Experte |
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Fotograf: Robert Kühnen |
Robert Kühnen ist studierter Maschinenbauer, schreibt für TOUR über Technik- und Trainingsthemen und entwickelt Prüfmethoden. Die Simulationsrechnungen verfeinert Robert seit Jahren, sie werden auch von Profi-Teams genutzt. |
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