Erneut bestimmte am Sonntag ein Vorfall aus Sachsen die Diskussionen in den sozialen Netzwerken. Nach dem Skandal um die ZDF-Reporter in Dresden waren es nun die Reaktionen auf ein weitgehend undurchsichtiges Verbrechen in Chemnitz. Dort hatte es nach übereinstimmenden Berichten von Boulevard bis zu seriösen Medien (hier u.a. der Artikel der Süddeutschen) einen Streit zwischen bis zu zehn Personen "mehrerer Nationalitäten" gegeben, bei dem drei Männer deutscher Nationalität mit einem Messer verletzt worden seien - einer davon tödlich.
Zum großen Aufreger wurde die Story auch deswegen, weil ursprüngliche Headlines noch suggerierten, der Tote hätte einer belästigten Frau helfen wollen. Zwei der nach Interaktionen erfolgreichsten Artikel hießen zunächst "Mann stirbt, als er belästigter Frau helfen will" (Tag24) und "Er wollte Frauen helfen - Ein Toter bei Messerstecherei nach Stadtfest" (Bild). Die Gerüchte um einen solchen Hintergrund des Streits stimmten aber offenbar nicht, die Polizei Sachsen twitterte: "Entgegen der in einigen Medien kursierenden Infos, gibt es nach jetzigem Ermittlungsstand bzgl. des Tötungsdelikts in #Chemnitz keinerlei Anhaltspunkte, dass eine Belästigung der Auseinandersetzung vorausging".
In Folge kam es am Sonntag zu Protestaufforderungen in sozialen Netzwerken. Zunächst hatte die AfD Chemnitz zu einer "Spontandemo" aufgerufen, zu der aber offenbar nur 100 Leute kamen. Einen weiteren Aufruf gab es nach wiederum übereinstimmenden Medienberichten von dem Ultra-Zusammenschluss Kaotic aus dem Umfeld des Chemnitzer FC, der regelmäßig im sächsischen Verfassungsschutzbericht erwähnt wird - als "rechtsextremistische Fußballfangruppierung" (siehe u.a. im aktuellen Bericht 2017 - hier als PDF). Der Aufruf war offenbar erfolgreicher als der der AfD, 800 Leute sollen gekommen sein. Es gab auch Ausschreitungen, sodass die Veranstalter des Stadtfestes, im Rahmen dessen es zu der Tötung gekommen war, das Fest vorzeitig beendeten.
Artikel über die Proteste waren es schließlich, die es mit 19.600 bzw. 16.800 Facebook- und Twitter-Interaktionen nach ganz oben in den sonntäglichen Social-Media-News-Charts schafften: Spiegel Online titelte "Rechte marschieren in Chemnitz auf", Bild "Rechte ziehen durch Chemnitz". Vor allem das Wort "Rechte" rief viele Rechte auf den Plan. Alice Weidel zum Beispiel störte sich daran, twitterte: "Nationalitäten der geschnappten Messer stechenden Mörder werden nicht genannt, aber 1000 „Rechte marschieren“ auf. Das ist wie immer völlig klar. Das ist die Berichterstattung in Deutschland." Dass eine vom Verfassungsschutz als "rechtsextremistisch" bezeichnete Gruppe Initiator der Proteste war, scheint Weidel egal zu sein.
Das eigentliche Verbrechen bleibt unterdessen völlig unklar. Wer am tödlichen Streit beteiligt war, warum gestritten wurde, ob das Opfer zu den Fußball-Ultras gehörte? Ob es, wie T-Online-Journalist Lars Wienand twitterte, linke Seiten wie "Storch Heinar, Faust hoch gegen AfD, Metalfans gegen Nazis, Schimpansen gegen die NPD, Die Linke und den SPD-MdB @KarambaDiaby" auf Facebook mit Likes versehen hat - all das ist unbestätigt. Vereinnahmt von AfD & Co. wurde das Verbrechen dennoch schon.