Liebe/r Leser/in, es ist gerade erst geschehen – und doch glauben wir, bereits alles zu wissen. Die Schüsse des halb automatischen Gewehrs. Die Rufe des Erschreckens und der Angst. Die Beamten des Secret Service, die einen Schutzwall um den Verwundeten bilden. Der Leichnam des Attentäters auf dem flachen Dach. Es sind Bilder einer furchtbar vertrauten, endlosen Schleife. Mörderische Angriffe auf politische Prominente gehören seit je zur Geschichte der größten und ältesten Demokratie der Welt. Das Ritual der Gewalt, insbesondere der Gewalt mit Schusswaffen, ist in den USA derart allgegenwärtig und beinahe alltäglich, dass die Wirklichkeit etwas von ihrem blutigen Ernst zu verlieren droht – und auch von ihrer Wirklichkeit. So mag das Attentat auf Donald Trump auf den ersten Blick wie die Kopie einer Kopie wirken. Die x-te Wiederholung der ewig gleichen, menschenverachtenden Routine. Es sind insbesondere die ersten Details des Täterprofils, die so vertraut, aber auch so banal wirken, als habe der Killer nur die Rolle in einem billigen Film gespielt. Ein unauffälliger junger Mann. Offenbar wenige Freunde oder engere Bekannte. Die Zeit vertrieb er sich mit Spielen im Netz. Es war wohl keine besondere Ideologie, die seine Fantasien nährte. Es war die einfach verfügbare Waffe, die es ihm erlaubte, seinen Wahn auszuleben. Mit derart bruchstückhaften Informationen lässt sich zwar keine Biografie zusammenbauen – dennoch aber reden wir uns ein, den Charakter des Attentäters bereits entschlüsselt zu haben. Geschah demnach auf dem Feld in Butler, Pennsylvania, die Wiederkehr des Ewiggleichen? Folgten die Schüsse, die Schreie, das Blut nur einem schlechten Drehbuch? Nein. Menschen starben. Donald Trump wurde angeschossen. Er übernahm nicht die Rolle des Opfers. Er sollte das Opfer sein. Er inszenierte sich nicht als Überlebender. Er überlebte. Als er die Faust ballte und „Fight! Fight!“ rief – spielte er nicht den Ungebrochenen. Er war der Ungebrochene. Der Mann, der eigentlich immer lügt, verwandelte sich in den Sekunden nach dem Attentat: Er war das, was er war – ohne jeden Zweifel und ohne jeden Trick. Er spielte nicht. Er log nicht. Er war glaubwürdig. Vielleicht war er das nur für wenige Sekunden. Aber den Nimbus dieser Glaubwürdigkeit wird Trump nicht mehr verlieren. | Mit vielen Grüßen Markus Krischer, stellvertretender Chefredakteur FOCUS Magazin |
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Fotos: Michael Kappeler/dpa; Felix Hüffelmann für FOCUS Magazin; Thomas Victor/Agentur Focus |
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