Kurt Kister gibt Einblick in deutsche Alltagsmomente
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13. Januar 2023
Deutscher Alltag
Guten Tag,
ohne unbescheiden wirken zu wollen: Ich kann besser schreiben als Prinz Harry. Und ich habe noch nie einen Ghostwriter beschäftigt, auch wenn ich in meinem langen Leben als Redakteur mehr als nur manchmal das Gefühl hatte, ich müsste immer wieder Texte von Geisterschreibern jedes denkbaren Geschlechts bearbeiten.

Ghostwriter schreiben in aller Regel für einen anderen. Bei Geisterschreibern dagegen führen, meiner Definition nach, irgendwelche Gespenster die Finger von Leuten, die eigentlich besser schreiben könnten, wenn sie sich gegen diese Gespenster wehrten. Der Philosoph Martin Heidegger zum Beispiel war ein großer Gespensterschreiber, einer der größten überhaupt. Gespensterschreiberei in der Zeitung, auch der digitalen, erkennt man unter anderem daran, dass man nach sechzig oder achtzig Zeilen immer noch nicht so recht weiß, was das Autorenwesen eigentlich mitteilen möchte.

Gespenstertexte sind ein wenig wie die Wüste Kizilkum in Usbekistan: trocken, viel Kies und Sand, kein Schatten zum Ausruhen. Manche Menschen mögen die Wüste Kizilkum genau deswegen, so wie manche Redakteurinnen und manche Autoren kizilkumische Geistertexte lieben. Das äußert sich unter anderem auch darin, dass sie sich gerne gegenseitig für so einen Geistertext loben. Ein Kizilkum-Text muss übrigens nicht notwendigerweise flächengroß sein wie die Wüste. Es gibt auch 50-Zeilen-Kommentare, in denen ein Gespenst den Geist ersetzt hat.

Aber zurück zu Prinz Harry. Der kleine Bruder des Thronprätendenten William hat ein Buch mit einem Ghostwriter geschrieben. Es heißt auf Deutsch „Reserve“, weil Harry als kleiner Bruder hinter seinem großen Bruder und dessen Kindern der Reservethronanwärter ist. Harry findet die Welt ungerecht. Bei nicht wenigen solcher Bücher ist es so ähnlich wie mit Corona: Viele unglückliche Menschen sind an Corona gestorben, viele aber auch mit Corona. Mutmaßlich ist Harrys Buch durch einen Ghostwriter entstanden und nicht mit einem Ghostwriter. Offiziere – und diesen Beruf hat Harry am längsten ausgeübt – sind nicht die besten Erzähler und schon gar nicht die besten Stilisten. Ja, ich weiß, es gibt auch Offiziere, die schreiben können, aber selbst dann haben sie, wie Ernst Jünger, gefährliche Nebenwirkungen. Allerdings würde ein Offizier, der mit so einem altertümlichen Begriff wie „Offiziersehre“ etwas anfangen kann, niemals mit seinen militärischen Leistungen prahlen – und schon gar nicht damit, wie viele Menschen er getötet hat. Der Hubschrauberpilot und Gespensterschreiber Harry Windsor teilt in seinem Buch mit, er habe wohl 25 Leute auf dem Gewissen. „Auf dem Gewissen“ im Sinne des Begriffs hat er sie sicherlich nicht, sonst würde er anders damit umgehen. Ein eitler Rohling aber prahlt damit.

Wie gesagt, die Welt ist ungerecht. Harry, der Autor, soll an die 20 Millionen Dollar für seine Memoiren kassiert haben. Grundsätzlich muss man immer vorsichtig sein, wenn Leute, die jünger als 40 sind, Memoiren schreiben – es sei denn, diese Leute wären Alexander der Große oder gar Jesus, die beide in ihren Dreißigern leider memoirenlos starben. Die Memoiren von Jesus wären für den bücherverlegenden, bertelsmannschen Zappelsender RTL ein deutlich besseres Geschäft als die Übernahme des Stern. Vielleicht könnte der RTL-Stern ja wenigstens die Tagebücher von Alexander, dem Makedonenkönig, finden. Schließlich gehört der Penguin-Verlag, in dem Harrys Geisterbuch auf Deutsch erscheint, genauso zum Bertelsmann-Konzern wie RTL. Alles hängt mit allem zusammen, und alle Wege führen nach Gütersloh.

Harry jedenfalls schreibt eigentlich ausschließlich über seine Familie. Das könnten viele, nicht nur Gespensterschreiber. Ich zum Beispiel habe auch einen älteren Bruder sowie einen Vater, der nur vier Jahre jünger ist als Prinz Philip und glücklicherweise immer noch lebt. Meine Mutter starb früh, war allerdings, anders als Diana, Sekretärin im Baustoffhandel. Anspruch auf eine Krone hat mein Bruder nicht. Dafür hat er ein kleines Elektroauto ohne Winterreifen. Ich könnte also auch ein Buch schreiben, in dem lustige und dramatische Familiendinge vorkämen sowie moderate Gewalt. Mein Bruder hat mich mal übel am Genick gepackt, weil ich im Sandkasten eine Eidechse gefangen hatte und die in einem Plastikeimerchen einkerkern wollte. Ich war damals fünf. Bei der Armee war ich auch, allerdings nur in Schwaben und nicht in Afghanistan. Die Schwaben allerdings können auch tückisch sein.

Einen Ghostwriter bräuchte ich nicht, was die Sache für den Buchverlag schon mal billiger machte. Der Umfang wäre verhandelbar, weil ich es da grundsätzlich mit Lennon/McCartney halte (im Song „Paperback Writer“): It’s a thousand pages / give or take a few /I’ll be writing more/ in a week or two (also: Es sind tausend Seiten, ein paar mehr, ein paar weniger; in ein oder zwei Wochen schreibe ich mehr). Wir könnten uns bei, sagen wir, zwei Millionen einigen sowie einer Spende von jeweils 200 000 an drei notleidende Kleinverlage, die Lyrik im Programm haben. Außerdem würde ich noch gerne für sechs Wochen nach Usbekistan an den Rand der Wüste Kizilkum reisen.

Ich finde, das ist ein gutes Angebot. Ersatzweise wäre ich vielleicht bereit dazu, für Bertelsmann die Memoiren von Jesus zu übersetzen, einen Podcast dazu zu machen und außerdem Prinzessin Margaret in der ersten Staffel der Serialisierung von Harrys Memoiren zu spielen. I’ll be writing more in a week or two.
Kurt Kister
Redakteur
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