Liebe/r Leser/in, Freunde und Bekannte sagen mir gerne nach, ich sei ein schwerer Hypochonder. Vielleicht haben sie Recht, ich allerdings bin mir seit dieser Woche sicher: Auch ich könnte Corona-infiziert sein. Ich hatte Kontakt mit zwei inzwischen positiv getesteten Freunden, und seit Montag plagen mich Glieder- und Kopfschmerzen, abends gelegentlich erhöhte Temperatur. Seit Mittwochmorgen schmecke und rieche ich nichts mehr. Ich esse Knoblauch zum Frühstück – kein Geschmack; rieche weder das Duschbad noch mein Parfüm. Der HNO-Arzt hat inzwischen einen Rachenabstrich von mir ins Labor geschickt. Nun warte ich auf das Ergebnis und arbeite, wie die vergangenen Tage schon (mittlerweile jeder zweite Deutsche auch), von zu Hause aus. Quarantäne! Alles komplett neu, ungewohnt, aber was ist zurzeit noch gewöhnlich? Es sind sehr emotionale Zeiten, das zeigte am Mittwochabend auch die Fernsehansprache von Kanzlerin Angela Merkel, in der sie allen Menschen dankte, die das Land am Laufen halten, und zu Disziplin im Kampf gegen die Pandemie aufrief. Auch wir bei FOCUS erleben gerade einen völlig neuen Teamgeist. Danke, liebe Kollegen. Unsere Erfahrungen der vergangenen Tage fließen in viele Berichte ein, die Sie in diesem Heft lesen können. FOCUS-Reporter beobachteten, wie sich die Republik den Stillstand verordnete. Das dramatische Protokoll eines notwendigen, aber auch hochriskanten Experiments lesen Sie ab Seite 28. Wir berichten (ab Seite 52), wie die Corona-Krise unsere Arbeitswelt verändert. Wie wir uns gegen die seelischen Belastungen von Einsamkeit und Quarantäne schützen können, erfahren Sie ab Seite 86. Der Historiker und Bestsellerautor Rutger Bregman erklärt, warum sich gerade jetzt das Gute im Menschen offenbart (Seite 40). Seit jeher bin ich ein Mensch, der stark in Bildern denkt, und oft erklingen zu den Bildern oder alltäglichen Lebenssituationen Melodien in meinem Kopf. In diesen nicht enden wollenden Stunden zwischen Sorge und Hoffnung, in diesen Wochen der Stille und Einkehr sind die Bilder und Melodien besonders laut. Ich stelle mir das Virus vor, wenn es am Abend durch meinen fiebrigen Körper wirbelt. Ein unsichtbarer Feind, wie eine dunkle Rauchschwade, die alle Glieder durchweht und schüttelt und sich auch auf alles legt, was neben mir ist; im Ohr: Pink Floyd, „The Dark Side Of The Moon“. Ich denke an die vielen Helden, die zurzeit in den Krankenhäusern, Polizeistationen, Apotheken und Supermärkten an unserer Seite stehen und Unglaubliches leisten zum Wohle der Bürger. Danke, danke, danke; „Thank You For Being A Friend“ (Andrew Gold). Ein Freund, 82 Jahre alt, ruft mich an. Er hat Sorge, dass sich unter den Jungen, die nicht zur Corona-Risikogruppe gehören, aber unter den Alltagsbeschränkungen leiden, eine Stimmung gegen die Alten breitmachen könne. Ein Video des öffentlich-rechtlichen Medienangebots „funk“ heizt diese Sorge socialmedial an. „Wir sagen Ja zu Corona“, freut sich der Sprecher in dem Spot und erklärt, warum er das tödliche Virus begrüßt. Er sagt: „Interessant hierbei, wie fair dieses Virus ist. Es rafft die Alten dahin. Aber die Jungen überstehen die Infektion nahezu mühelos. Das ist nur gerecht. Immerhin hat die Generation 65+ den Planeten in den letzten 50 Jahren vor die Wand gefahren.“ Mein 82-jähriger Freund kannte dieses schlechte Satire-Video und empört sich zu Recht: „Ich war auch mal jung, und die, die jetzt hetzen, werden auch mal alt.“ Ich höre: „Time Is On My Side“ von den Rolling Stones. Ein Song für die Ewigkeit, forever young. Gott sei Dank war diese Woche wenigstens das Wetter okay. „Time Is On My Side“ ist ein Song der Hoffnung, das Lied für Gewinner. Gewonnen haben in den vergangenen Tagen Gesundheitsminister Jens Spahn, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der kanzlerlike Bayern durch die Krise führt, und ganz besonders SAP-Gründer Dietmar Hopp. Vor wenigen Tagen, als in den Bundesliga-Stadien noch Zuschauer waren, musste er Morddrohungen über sich ergehen lassen und wurde als Totengräber des Fußballs diffamiert. Der Unternehmer ist Mehrheitseigner der Tübinger Firma CureVac, die seit Anfang des Jahres nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus forscht (Seite 22). Schon bald könnte ein Mittel gefunden sein. Mit seinem Nein gegenüber Donald Trump, der ihm offenbar ein Milliarden-Kaufangebot machte, ist Hopp mein ganz persönlicher Held der Woche. Ich finde, die Geschichte vom verantwortungsvollen Unternehmer, der für seine Mitarbeiter kämpft und das Wohl der Gesellschaft im Blick hat, zeigt auch, dass diejenigen, die vor wenigen Tagen noch von „Reichen-Erschießungen“ sprachen (Linkspartei), Verblendete sind. „Sei froh, dass du fest angestellt bist“, ist so ein Satz, den man dieser Tage öfter hört, während so viele freie Kreative, Künstler, Studenten und Mittelständler um ihre Existenz bangen und kein Geld verdienen. Sie alle brauchen nun unsere Solidarität. Bleiben Sie gesund. |