Die Videoüberwachung von Beschäftigten z.B. am Arbeitsplatz ist nicht nur ein viel berücksichtigtes Thema in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG), sondern zunehmend auch anderer Gerichte. Weitestgehend unbeachtet, aber immer bedeutungsvoller in diesem Zusammenhang wird die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser Beitrag beleuchtet die jüngsten Entscheidungen des EGMR zur Videoüberwachung von Beschäftigten. Einfluss des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) Bedeutung erlangte der 1959 gegründete EGMR erst mit dem 11. Zusatzprotokoll zur Konvention der Menschenrechte und den damit eingeführten Kontrollmechanismen aus dem Jahre 1998. Seither nimmt der EGMR vermehrt mit seinen Gerichtsurteilen Einfluss auf nationale Entscheidungen, insbesondere im Arbeitsrecht. Vor dem EGMR sind drei Verfahrensarten möglich, mit denen Verletzungen und Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) geltend gemacht werden können: • das Staatenbeschwerdeverfahren (Art. 33 EMRK), • das Gutachtenverfahren (Art. 47 EMRK) und • das Individualbeschwerdeverfahren (Art. 34 EMRK). Im Zuge der zugelassenen Individualbeschwerde, mit der jedes Individuum eine Verletzung seiner Konventionsrechte aus der EMRK geltend machen kann, wuchs und wächst die Bedeutung des EGMR. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag im Sinne von Art. 59 Abs. 2 GG, so dass die Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf die Auslegung der EMRK, also deren Anwendbarkeit, jeweils in den Abwägungs- und Willensbildungsprozess nationaler Gerichte und Behörden einzubeziehen ist. Auf diese Weise nimmt der EGMR immer mehr Einfluss auf die Auslegung nationaler Gesetze. Dies gilt insbesondere über die Auslegung von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der auch die beruflichen Aspekte abdeckt und damit in die arbeitsrechtliche Rechtsprechung einfließt. Die Videoüberwachung im Beschäftigtenverhältnis und am Arbeitsplatz Die Videoüberwachung von Beschäftigten stellt eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten gem. Art. 4 Nr. 1 DSGVO dar, für die es einen Erlaubnistatbestand gem. Art. 6 DSGVO geben muss. Als solcher kommt im Arbeitsverhältnis grundsätzlich die Einwilligung des Beschäftigten gem. Art. 6 Abs. 1 S.1 lit. a DSGVO mit all den sich hieraus ergebenden Problemen, insbesondere dem Nachweis der Freiwilligkeit oder eine spezifische nationale Regelung, in Betracht. Inhaltliche Vorgaben der DSGVO für Kontrollmaßnahmen Gem. Art. 88 Abs. 1 DSGVO können die Mitgliedsstaaten Rechtsvorschriften erlassen, die eine Überwachung der Beschäftigten am Arbeitsplatz auch zum Schutz des Eigentums des Arbeitgebers und der Kunden zulässigerweise abdeckt. Wobei Art. 88 Abs. 1 DSGVO keine abschließende Aufzählung der Verarbeitungszwecke im Beschäftigungsverhältnis darstellt. Die Grenze für Datenverarbeitungen aus Kontrollmaßnahmen liegt immer dort, wo die Datenverarbeitung zu beschäftigungsfremden Zwecken erfolgt, wenn also kein innerer Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis mehr vorliegt. Wesentlich ist dabei, dass alle Datenverarbeitungen dem Grundsatz der Transparenz, wie er sich aus Art. 88 Abs. 2 DSGVO i.V.m. Art. 23 DSGVO ergibt, Rechnung tragen. Auf dieser Grundlage wurde in Deutschland als spezifische nationale Regelung § 26 BDSG, der wortgleich zu § 32 BDSG a.F. ist, erlassen. Dabei differenziert § 26 BDSG im Beschäftigungsverhältnis zwischen Datenverarbeitungen zur • präventiven Kontrolle in § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG und der • repressiven Kontrolle in § 26 Abs. 1 S. 2 BDSG "zur Aufdeckung von Straftaten". Damit bedürfen alle Datenverarbeitungen des Arbeitgebers, die nicht auf einer Einwilligung des Beschäftigen beruhen, einer Rechtfertigung aus § 26 BDSG. Soweit es sich um Datenverarbeitungen in Bezug auf Straftaten handelt, ist dies nun explizit geregelt. Die Frage stellt sich aber, wie es sich mit den nicht ausdrücklich benannten "erheblichen Pflichtverletzungen" des Beschäftigten verhält, d.h. ob der Arbeitgeber mangels Regelung dagegen nicht vorgehen dürfte, weil hier eine mögliche Sperrwirkung aus § 26 Abs. 1 S. 2 BDSG greife. Das Bundesarbeitsgericht lässt jedoch auch Kontrollmaßnahmen gegen erhebliche Pflichtverletzungen zu, wenn hierfür eine über vage Anhaltspunkte hinausgehende konkrete und objektive Vermutung besteht, d.h. es besteht kein Freibrief für ein Ermittlung ins Blaue hinein. Die offene Videoüberwachung Eine offene Videoüberwachung, wie sie von Art. 88 Abs. 2 DSGVO gedeckt ist, kann als Eingriff in die Sozialsphäre des Betroffenen verhältnismäßig sein, soweit diese keine Rückzugsflächen (Sanitär-, Umkleide- oder Schlafräume) betrifft und keinen übermäßigen Anpassungsdruck bei dem Beschäftigten erzeugt, d.h. das Verhalten des Beschäftigten darf nicht pausen-, lückenlos und hoch detailliert aufgezeichnet werden. Ferner müssen die Maßnahmen dazu dienen, mögliche vorsätzliche Pflichtverletzungen aufzudecken, wie z.B. im Kassenbereich. Der Arbeitgeber darf die Videoaufnahmen nur dann am Arbeitsplatz des Beschäftigten oder an einem anderen Ort im Betrieb machen, wenn das Kontrollinteresse des Arbeitgebers das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten überragt. Nicht ausreichend ist bei dieser Betrachtung, wenn der Arbeitgeber kontrollieren will, wie gearbeitet wird. Vielmehr ist eine schwerwiegende Beeinträchtigung für rechtlich geschützte Güter des Arbeitgebers durch den Beschäftigten erforderlich, z.B. Diebstahl. Die heimliche Videoüberwachung Nach der Rechtsprechung des BAG ist eine verdeckte Videoüberwachung zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind und die Videoüberwachung insgesamt nicht unverhältnismäßig ist. Allerdings sind mit der DSGVO heimliche Videoaufnahmen ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung gem. Art. 23 Abs. 1 DSGVO nicht zulässig, weil sie einen Verstoß gegen das Transparenzgebot darstellen. Art. 26 Abs. 1 S.2 BDSG ist keine ausreichende gesetzliche Grundlage, weil darin ausdrücklich keine heimlichen Maßnahmen zugelassen werden und die gesetzliche Regelung zum Beschäftigtendatenschutz bislang daran scheiterte, heimliche Kontrollmaßnahmen zuzulassen. Im Übrigen müsste eine gesetzliche Grundlage auch den Erfordernissen aus Art. 23 Abs. 2 DSGVO entsprechen. Was sagt der EGMR hierzu? In der Rechtssache Barbulescu (NZA 2017, 1443) hat der EGMR geurteilt, dass Art. 8 EMRK mit dem Schutz auf Privatleben auch die berufliche Tätigkeit umfasse und der Staat demnach auch diese berufliche Tätigkeit gegenüber privaten Dritten, die in diese Rechte des Betroffenen eingreifen wollen, schützen muss. Dies gilt für heimliche Videoaufnahmen des Arbeitgebers, die einen Rechtsmissbrauch im Sinne des Art. 8 EMRK darstellen würden. Damit kein Verstoß gegen Art. 8 EMRK vorläge, müssten zumindest rechtsstaatliche Verfahrensgarantien eingehalten werden, d.h. der Betroffene muss vor Willkür geschützt sein. Dies ist immer dann der Fall, wenn das Vorgehen für den Betroffenen transparent ist. Mit anderen Worten, der Beschäftigte muss über den Umstand der Überwachung, deren Art und Weise vor Beginn der Maßnahme informiert werden. Nun hat der EGMR also im Fall López Ribalda/Spanien (NZA 2019 1697) festgestellt, dass eine zehntätige verdeckte Videoüberwachung bei Verdacht einer Straftat keinen Verstoß gegen Art. 8 EMRK darstellt. Hintergrund war, dass in einem Supermarkt über mehrere Monate pro Monat hohe Summen an Warenwert verschwanden. Der Warenschwund war anders nicht aufklärbar, daher hatte der Arbeitgeber sowohl offene Videokameras, über die informiert worden war, installiert, als auch verdeckte. Im konkreten Fall stellte die große Kammer des EGMR fest, dass in besonders gelagerten Fällen, von einer Information des Betroffenen über die Videoaufnahmen als letztes eingesetztes Mittel abgewichen werden kann. Die gewonnenen Erkenntnisse dürfen dennoch als Beweismittel im Kündigungsschutzprozess verwendet werden. Ferner stellte der EGMR fest, dass der Schutz der Privatsphäre der Beschäftigten mit dem Schutz des Eigentums des Arbeitgebers bei dem konkreten Einsatz der Kontrollmaßnahme abgewogen werden müsse und eine Information des Beschäftigten nicht immer notwendig sei. Weiterentwicklung in Sachen heimlicher Kontrollmaßnahmen Es bleibt abzuwarten, wie in Zukunft heimliche Kontrollmaßnahmen im Beschäftigungsverhältnis unter Berücksichtigung der EGMR-Rechtsprechung gehandhabt werden. Beide oben erwähnten Urteile des EGMR ergingen durch die Große Kammer des Gerichtshofs. Diese ist zuständig für die Entscheidung schwieriger oder wichtiger Fragen betreffend der Interpretation und Anwendung der Konvention. Und eben diese Kammer urteilte, dass ein kategorisches Verbot einer verdeckten Kontrollmaßnahme einer Interessensabwägung, die von den nationalen Gerichten in angemessener Weise geprüft werden müsse, entgegenstehe und somit eine verdeckte Kontrollmaßnahme durchaus möglich sein kann. Beitrag hier kommentieren |