Liebe/r Leser/in, es ist Freitag vor einer Woche, als die Kollegen ihre Fragen an Björn Höcke schicken. Ein normaler Vorgang. Sie haben dessen Herkunft, Netzwerk und Strategie recherchiert, in seiner Heimat wie in Berlin. Das tun Journalisten. Bei Kohl, bei Habeck und auch bei Höcke, der aus Sicht eines Gerichts genügend Tatsachen liefert, um ihn „Faschist“ nennen zu dürfen. 2024 will er Thüringens Ministerpräsident werden. Menschen möchten wissen, wie integer ein Politiker ist, der ihre Geschicke bestimmen will. Am Ende einer Recherche, auch das ist normal, geben Journalisten Institutionen und Personen Gelegenheit zur Reaktion auf offene Fragen. Das Büro Höcke erhielt vom FOCUS eine Liste von 18 Fragen. „Stimmt es, dass Sie mit 16 Mitglied in der Jungen Union waren?“ Und: „In welchen Organisationen haben Sie sich während Ihres Studiums politisch engagiert?“ FOCUS fragte auch, ob es stimme, dass Höcke bei der Beerdigung seines Vaters gegen Ende der Trauerfeier mit verzerrtem Gesicht „Vaaaaater“ geschrien und eine scheinbar wütende Rede auf den Verstorbenen gehalten habe. In Höckes Heimatdorf hatten mehrere Menschen von diesem Erlebnis in der Kapelle erzählt, darunter der Pfarrer. Ihn habe der Schreck erneut erfasst, sagte er, als er Höcke 2015 im Fernsehen sah und erfuhr, dass er an die Macht strebte. Ob Journalisten Informationen verwenden, ist eine Frage der Gewichtung. Dass sie diese überprüfen, ist ihre Pflicht. Das Büro Höcke schickte keine Antwort. Doch dann, am Mittwoch, brach ein Sturm in Höckes Social-Media-Kanälen los. Er hatte ein Video hochgeladen. Titel: „Wenn nichts mehr heilig ist“. Inhalt: die FOCUS-Recherche. Er las die Beerdigungsfrage vor und fragte: „Sehr geehrte Journalisten, schämen Sie sich nicht?“ Nein, Herr Höcke, das tun wir nicht. Es gibt Fragen, die schmerzen, Fragen, die nerven oder unverschämt scheinen. Doch ohne Fragen wäre Journalismus Kampagne. Und ist es nicht gerade die AfD, die postuliert: Auch unangenehme Fragen müssen gestellt werden? Der Höhenflug der AfD fordert die Republik heraus. Jeden Tag quält sich die Union bei der Suche nach dem richtigen Umgang, Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene ist in einigen Landstrichen längst normal. Und ich weiß, dass viele, die mit der AfD sympathisieren, weit entfernt sind von Höckes Parolen der „1000-jährigen Zukunft“. Dass sie frustriert sind vom Unvermögen der Ampel und verängstigt von den Läufen der Zeit. Sie wollen ihre Welt bewahren. Höcke und seine Leute aber betreiben Disruption. Die Redaktion hat lange diskutiert, ob es richtig ist, die Höcke-Recherche zum Titel zu machen. Tut man Rechtsextremisten damit einen Gefallen? Ich finde nicht. Wenn in einigen Regionen des Landes jeder dritte Bürger eine Partei favorisiert, in der Radikale die Fäden ziehen, müssen sie, müssen wir alle uns mit den Fakten auseinandersetzen. Wir sollten die Aufmerksamkeit weniger auf jene lenken, die aus Wut und Enttäuschung ihr Kreuz bei der AfD machen, sondern uns auf die Kräfte konzentrieren, die diese Stimmen nutzen, um unsere Demokratie zu beschädigen. |