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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Donnerstag, 04.11.2021 | Bewölkte und ein wenig triste 9 °C. | ||
+ Eilantrag will heutige Konstituierung des AGH verhindern + Große Zählgemeinschaft in Marzahn-Hellersdorf wählt neuen Bezirksbürgermeister Lemm + Berlin will bauen, bauen, bauen + |
von Lorenz Maroldt |
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Auch immer mehr Seltsamkeiten werden bekannt – so hieß es auf Seite 20 des Handbuchs für die Wahllokale: „Entgegen der Regelung in der Bundeswahlordnung werden leere Stimmzettelumschläge bei dieser Wahl ausnahmsweise nicht als ungültige Stimme gezählt.“ Als sich ein Wahlhelfer weigerte, so zu verfahren, teilte ihm die Landeswahlleitung nur mit, das sei wohl „missverständlich“ formuliert – und schickte ihn vorzeitig nach Hause. | |||||
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In Friedrichshain-Kreuzberg wurden Wahlzettel, weil zu wenige vorhanden waren, in hoher, aber unbekannter Zahl einfach kopiert. In einer Mail des Bezirksamts schreibt ein Leitender Magistratsdirektor: „Nach meiner Erinnerung wurden auf 2-3 Kopierern im Rathaus Friedrichshain, die A3 kopieren können, für ca. 2-3 Stunden solche Stimmzettel erstellt. Es dürfte sich somit schon um eine nicht ganz unerhebliche Menge gehandelt habe. Uns ging dann das A3-Kopierpapier aus.“ So ein Pech aber auch. Im Wahlgesetz, § 49, heißt es dagegen eindeutig: „Zur Stimmabgabe dürfen nur amtlich hergestellte Stimmzettel benutzt werden.“ | |||||
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In anderen Erklärungen wird von minutenlang verwaisten Wahllokalen berichtet – und von Mülltonnen mit Stimmzetteln, die unbeobachtet herumstanden. Wenn offenbar jeder einen Wahlschein hätte kopieren können: Wer will da garantieren, dass nicht unrechtmäßig ausgefüllte dort gelandet sind? | |||||
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Auch der Innenausschuss beschäftigte sich gestern nochmal mit der Chaos-Wahl – vorgelegt wurde u.a. die schriftliche Auskunft der Landeswahlleitung zu „geschätzten“ Ergebnissen: Ja, es gab sie wirklich, und: „Eine Schätzung sollte methodisch so gemacht werden, dass das Vorwahlergebnis und die bisher erfassten Ergebnisse des Wahlkreises berücksichtigt werden, d.h. sich die Schätzung strukturell nicht von dem unterscheidet, was an vorläufigen Ergebnissen aus den anderen bereits ausgezählten Wahllokalen des Wahlkreises vorliegt.“ Und, natürlich: „nicht mandatsrelevant“ soll sie sein. | |||||
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Was „mandatsrelevant“ ist oder nicht, werden die Gerichte zu klären versuchen. Wir werfen hier, pars pro toto, nur mal noch schnell einen Blick auf den Wahlkreis 1 in Marzahn-Hellersdorf: Hier hatte der AfD-Mann Gunnar Lindemann die meisten Erststimmen und sitzt deshalb heute bei der konstituierenden Sitzung im Abgeordnetenhaus. Aber gehört er dort überhaupt hin (von seinen rassistischen Äußerungen mal abgesehen)? 70 Stimmen betrug sein Vorsprung vor Gordon Lemm von der SPD. Im Wahlausschuss-Bericht heißt es in einem Vermerk ausgerechnet über den Wahlbezirk 10105, der zum Wahlkreis 1 gehört: „Nicht aufgeklärt werden konnten folgende Bedenken: 10105 - 190 Stimmzettel für die Erststimme wurde durch den Wahlvorstand nicht ausgegeben.“ 190 Zettel wurden nicht ausgegeben, und keiner weiß, warum? Bei einem Unterscheid von nur 70 Stimmen? Vielleicht hätte sie auch hier lieber schätzen sollen. | |||||
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Zum Trost wird Gordon Lemm heute Bezirksbürgermeister – dank einer Zählgemeinschaft von SPD, Linken, Grünen, FDP und Tierschutzpartei. Doch ein Blick auf die Tagesordnung zeigt, dass man es auch hier nicht ganz so genau nimmt mit Recht und Gesetz, genauer: mit § 35 Bezirksverwaltungsgesetz. Es geht um die „Reihung“ der Wahlvorschläge für das Bezirksamt, die nach der D’Hondtschen Zählweise zu erfolgen hat. Damit wäre nach der Wahl des SPD-Bezirksbürgermeisters die CDU dran. Aber SPD und Linke ziehen auf den vorderen Plätzen erstmal ihre eigenen Leute durch. | |||||
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Mark Twain war nicht nur ein profunder Kenner der Berliner Schulen („In Berlin gibt es nichts, was man nicht lernen könnte - außer der deutschen Sprache!“, 1891), sondern auch ein besserer Zukunftsforscher als Kaiser Wilhelm („Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung“, 1905) und Matthias Horx („Das Internet wird kein Massenmedium“, 2001). Wenn Berliner Städteplaner und Wissenschaftssenatoren auf ihn gehört hätten, gäbe es heute weder eine Wohnungsnot noch Lehrermangel, denn der Schriftsteller wusste: „Voraussagen soll man unbedingt vermeiden, besonders solche über die Zukunft.“ Schauen wir auf die vergangen 30 Jahre: Kurz nach der Wende prognostizierte die Gesellschaft für Demographie für das Jahr 2010 eine Einwohnerzahl in Berlin von 5 bis 6 Millionen. Als die Berlinerinnen und Berliner das lasen, hörten sie auf Kinder zu zeugen oder wanderten aus. Die anderen erwarteten Millionen von außerhalb überlegten sich die Sache nochmal. Aber der Senat machte weiter und baute, baute, baute. Das waren die Neunziger. In den Nullerjahren, als die Bewohnerzahl langsam wieder stieg, ging die Zahl der Baugenehmigungen drastisch zurück, der Senat verramschte städtische Wohnungen oder ließ sie gleich abreißen. In den Zehnerjahren wurde die Wohnungsnot dramatisch, 2015 kamen 80.000 Menschen zusätzlich in die Stadt, und der Senat prognostizierte: „Das aktuelle Wachstum wird von Dauer sein.“ Im Jahr 2017 wurde ein Fehlbedarf von 200.000 Wohnung bis zum Jahr 2030 geschätzt, aber mit dem Bauen ging es nicht richtig voran. Seit Anfang der Zwanziger lautet die Parole wieder „bauen, bauen, bauen“ – aber die Einwohnerzahl stagniert. Die Wohnungspolitik ist in den Koalitionsverhandlungen eine der härtesten Nüsse. Wie würden Sie sie knacken: | |||||
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