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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Freitag, 01.10.2021 | Klarer Himmel, fotogenes Herbst-Streiflicht und entspannte 18 °C. | ||
+ Wahlchaos: Die Liste der Pannen wird immer länger + Koalitions-Sondierungen beginnen + Russischer Propagandasender RT Deutschland baut seine Präsenz in Berlin mächtig aus + |
von Lorenz Maroldt |
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Guten Morgen, auch am fünften Tage nach der Wahl kommt Berlin aus dem Staunen nicht raus – die Liste der Pannen und Peinlichkeiten wird immer länger. In Charlottenburg-Wilmersdorf zum Beispiel, wo schon früh die Stimmzettel ausgegangen waren, hatten alle 22 Wahlbezirke exakt dasselbe vorläufige amtliche Endergebnis gemeldet – gestern dann veröffentlichte das Bezirkswahlamt dazu eine Erklärung, die noch verrückter klingt als der Umstand an sich: Der Ausgang der Wahl wurde geschätzt (nein, kein Witz) – die Verteilung der Prozente auf die Parteien war eine reine Fiktion. Und als wäre das jetzt nicht schon gaga genug, setzte Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann, der es mit Regeln auch sonst nicht ganz so genau nimmt (CP v. 22.6.), noch einen drauf: Er findet das alles „normal“ – und nennt die Kritik „bodenlos“. Doch immer mehr Menschen wollen sich nicht mehr damit abfinden, was Berliner Politiker für „normal“ halten. Dass bei Wahlen auch mal etwas schief gehen kann – geschenkt. Und dass ein einzelner Wahlbezirk wegen unerwarteter Umstände in der Wahlnacht auch mal ein unfertiges Ergebnis durchreicht – kommt vor. Aber gleich alle 22? Und das zunächst ohne nachvollziehbaren Hinweis? Bodenlos ist hier nur die organisierte Verantwortungslosigkeit. | |||||
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Und damit wären wir in Reinickendorf, wo es ein Briefwahlbezirk auf die sensationelle Beteiligung von 150 Prozent schaffte (CP von gestern) – selbst die Kandidaten der Nationalen Front kamen nie über 99 Prozent. Berlinrekord ist das aber nicht – den hält Tempelhof-Schöneberg: Hier wurde mit 159 Prozent die höchste Wahlbeteiligung gemeldet. Der Checkpoint gratuliert herzlich. 16 weitere Wahlbezirke lagen ebenfalls weit über 100 Prozent. Und weiter geht’s: In Neukölln konnten Minderjährige die Stimmzettel für Bundestag und Abgeordnetenhaus ankreuzen – stundenlang wurden hier zu viele Wahlzettel ausgegeben. Ebenfalls in Neukölln passte die Zahl der tatsächlichen Wähler nicht zur Zahl der ausgezählten Stimmen – es waren zu wenig, hunderte werden noch vermisst. In anderen Bezirken war es genau umgekehrt – hier hatten offenbar Tarnkappenbürgern gewählt. Viele EU-Bürger, die nur an den BVV-Wahlen teilnehmen dürfen, hatten in ihren Briefwahlunterlagen ebenfalls Stimmzettel für den Bundestag und das Abgeordnetenhaus – u.a. eine dänische Checkpoint-Leserin in Charlottenburg-Wilmersdorf. 99 Wahllokalen meldeten auffällig viele Stimmen als ungültig – in einem Kreuzberger waren es 40 Prozent, in einem Neuköllner sogar 70 – vermutlich waren auch hier nicht die richtigen Wahlscheine angekommen. Überall in der Stadt stellten die Wahlvorstände fest, dass Stimmzettelkartons falsch beschriftet waren. Die Landeswahlleitung wusste das übrigens seit Anfang August – angeliefert wurden die Kartons aber erst am Wahltag. Auch in Steglitz-Zehlendorf verteilten Wahlhelfer die falschen Wahlscheine – und in Marzahn-Hellersdorf vergaßen sie, den Wählerinnen und Wählern die Erststimmenzettel fürs Abgeordnetenhaus mitzugeben. In Pankow werden acht Stimmbezirke neu ausgezählt – auch hier landeten falsche Wahlscheine, diesmal betraf es die Erststimmen zum Bundestag: Sie wurden als ungültig gezählt. Zwei Wahlhelfer aus Tempelhof-Schöneberg teilten uns unabhängig voneinander mit, dass sie in den Briefwahlumschlägen kopierte Wahlscheine gefunden haben – wie viele davon unentdeckt mitgezählt wurden, lässt sich nicht mal schätzen. Und mehrere Checkpoint-Leser berichteten, dass sie ihre Briefwahlunterlagen doppelt bekommen haben. Am 14. Oktober wird das endgültige Ergebnis erwartet, aber nur das der Wahlen. Wer verantwortlich ist für das Chaos, bleibt offen: Die Senatskanzlei erklärt, sie sie in der Sache „eher Zuschauer“. Die Innenverwaltung bekennt sich zu Rechtsaufsicht, aber in Bezug auf die Pannen für unzuständig. Die Landeswahlleiterin schob vor ihrem Rücktritt den Bezirkswahlämtern die Schuld zu. Die Bezirke wiederum beklagen sich über eine schlechte personelle Ausstattung durch den Senat. Aber der, siehe oben, schaut ja nur zu. „Das Irgendwie muss endlich ein Ende haben“, schreibt Checkpointer Robert Ide heute in seinem Leitartikel (Abo) – aber wer macht dabei den Anfang? | |||||
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So ähnlich, wie die Wahl vorbereitet wurde, begann einst auch der Bau des BER. Im Checkpoint zählten wir jeden Morgen die Tage seit der geplatzten Eröffnung von 2012. Vor genau einem Jahr dann stellten wir unseren Counter beim Stand von 3073 für immer ein: Pünktlich zu seinem Geburtstag am 31. Oktober hatte Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup, dreieinhalb Jahre zuvor geholt in der Not, den BER endlich ans Netz gebracht. Gestern nun feierte der „Tatortreiniger“ Abschied – und seine Führungscrew überreichte ihm ein besonderes Geschenk: Die Geschichte des BER als Checkpoint-Buch, bebildert mit den Flughafen-Comicstrips unserer wunderbaren Naomi Fearn. Kurz zuvor hatte er uns zu einem letzten Rundgang durch den Flughafen eingeladen: über den „Marktplatz“, auf dem wieder alle Läden geöffnet haben, vorbei an der „StäV“, wo sein Bild jetzt direkt neben dem von Willy Brandt hängt, entlang an der Laufband-Baustelle im Mainpier, und schließlich hinauf zur noch uneröffneten Tegel-Lounge. | |||||
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Engelbert Lütke Daldrup hat am BER geschafft, was manche für unmöglich hielten. Ob er vielleicht auch eine Lösung für die anderen Berliner Baustellen hat? Hier ein paar Auszüge aus unserem Gespräch: + „Wir haben ein Umsetzungsdefizit.“ + „Manchmal fehlt es an Verantwortungsbewusstsein für Effizienz.“ + „Wir wären gut beraten, bei den Auflagen abzurüsten.“ + „Wenn man will, dass Probleme in einer Stadt zügig gelöst werden, muss sich die Politik selbst beschränken.“ + „Alle Berliner Parteien wissen, dass sie in der Frage von Regeln und Umsetzungsgeschwindigkeit ein neues Maß finden müssen, in welcher Koalition auch immer.“ + „Diese sektorale Optimierungstendenz, dass jeder sein Detailinteresse abgebildet haben möchte, ist im Sinne des Allgemeinwohls ein immer größeres Problem.“ + „Ich würde dafür plädieren, eine starke Steuerungsfunktion im Roten Rathaus und ein stärkeres Projektcontrolling mit klaren, gemeinsamen Zielen zu installieren.“ In seinem letzten großen Interview als Flughafenchef verrät Engelbert Lütke Daldrup, wie er den BER bezwang, welche Spuren das bei ihm hinterlassen hat, was für ihn Führung bedeutet, wie sein Terminkalender jetzt aussieht – und ob ein Comeback in der Politik für ihn denkbar ist. „Freude am Leben ist jetzt eine meiner Maximen“ ist der Text überschrieben – Sie können ihn hier mit einem „Tagesspiegel plus“-Abo lesen. | |||||
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