Liebe Leserinnen, liebe Leser, was uns Anleger oft am teuersten zu stehen kommt, sind liebgewonnene und unerschütterliche Verhaltensmuster, die so eingängig, so selbstverständlich sind, dass man gar nicht mehr drüber nachdenken muss. Wir handeln einfach entsprechend, weil es so offenkundig richtig ist, dass wir unser Verhalten nicht mehr hinterfragen. Doch genau hier bleibt die Rendite auf der Strecke und wir zahlen oft unbewusst kräftig drauf. Dumm und unnötig. Eines dieser unumstößlichen Muster will ich heute umschubsen. Auslöser ist Warren Buffetts Verhalten mit seiner Apple-Position, das er nun bei der Bank of America zu wiederholen scheint. Ich habe in den letzten Tagen hierzu einige Diskussionen mit Lesern geführt, bei der ich über das „Bewertungs-Paradoxon“ gestolpert bin. Dabei musste ich erkennen, dass meine Argumentation einer meiner eigenen Ansichten, die ich früher und für lange Zeit vertreten habe, widerspricht – und dass ich mich längst anders verhalte. Schon einige Jahre, ohne dass es eine bewusste Überlegung gewesen wäre. Aber seitdem erziele ich viel bessere Ergebnisse an der Börse. Und das scheint mir lohnend genug zu sein, mal genauer hinzusehen. Wir haben Buffetts Verhalten bzgl. seiner Apple-Position an dieser Stelle ja schon Mitte August genau betrachtet und die Gründe dafür herausgearbeitet. In aller Kürze: Buffett geht aufgrund der galoppierenden Neuverschuldung in den USA von steigenden Unternehmenssteuern aus. Trump hatte die von 35% auf 21% gesenkt, mit entsprechend positiven Effekten auf die Unternehmensgewinne. Nun stehen die Zinsen höher und die US-Verschuldung hat sich fast verdoppelt auf mehr als 35 Bio. US-Dollar, so dass die dafür aufzuwendenden Zinslasten demnächst zum größten Einzelposten im US-Haushalt werden. Die US-Regierung, egal ob Republikaner oder Demokraten, werden entweder massive Kürzungen bei den Ausgaben vornehmen oder die Steuern kräftig anheben müssen. Und wir alle wissen, wofür sich Politiker im Zweifel entscheiden. Aus dieser Analyse leitet Buffett sein Handeln ab. Er sitzt auf 2-stelligen Milliarden-Kursgewinnen bei seiner Apple-Position, die sich seit seinem Einstieg ab 2016 vervielfacht hat. Also verkauft er diese Aktien und zahlt darauf heute Körperschaftssteuern von 21%. Und vermeidet so, in einigen Jahren auf den Gewinn 35% oder mehr bezahlen zu müssen. Dass ihm dadurch Liquidität flöten geht, weil er die Steuern ja heute bezahlen muss, stört ihn nicht so sehr, denn Ende des 2. Quartals hatte er einen Bestand an Bargeld und US-Staatsanleihen von 277 Mrd. US-Dollar. Buffett verkauft also seine Apple-Aktien. Und hat Anfang des Jahres, als er damit anfing, Apple zum wundervollsten Unternehmen der Welt erklärt und dass Apple auch künftig wohl die größte Position in Berkshires Aktien-Portfolio sein würde. Doch dann halbierte er seine Position im 2. Quartal. Warum kauft Buffett nicht? Und das brachte eine berechtigte Frage auf: Wenn Buffett die Apple-Aktie weiterhin für attraktiv hält und sie nur aus steuerlichen Gründen reduziert, dann könnte und müsste er sie ja eigentlich sofort wieder zurückkaufen. So wären die Kursgewinne realisiert, die Steuerpflicht wäre ausgelöst und die Aktien wären wieder im Depot. Doch danach sieht es nicht aus. Und deshalb ist die Schlussfolgerung vieler Anleger, dass Buffett Angst vor einem Crash hat und/oder doch nicht mehr von Apple überzeugt ist. Beides halte ich für falsch. Fangen wir mit der Crash-Angst an. Buffett hat sich noch nie um einen Börsen-Crash Sorgen gemacht. Er hat wiederholt erklärt, Berkshire sei so solide aufgestellt, dass es jede Rezession und jeden Crash locker überstehen könne. Stattdessen hofft er darauf, endlich seinen großen Cash-Bestand wieder in Aktien investieren zu können. Und das geht am leichtesten und am billigsten, wenn alle anderen Anleger in Panik verkaufen. Bleibt die Frage, weshalb Buffett die Apple-Aktien nicht wieder zurückkauft, wenn er Apple doch so toll findet. Und ob er Apple nicht einfach nur für viel zu überbewertet hält. Dazu muss man wissen, dass Buffett ein Langzeitanleger ist. Er meinte mal, seine bevorzugte Haltedauer sei „für immer“. Und schaut man auf einige seiner größten Depot-Positionen, verhält er sich auch so: Sein Coca-Cola-Bestand ist seit 35 Jahren unverändert, American Express hält er bereits seit 29 Jahren unverändert im Depot, bei der Rating-Agentur Moody’s sind es 24 Jahre. Dabei haben diese Aktien immer mal wieder Börsenphasen erlebt, wo ihre Aktien deutlich überbewertet waren. Und Buffett hat nicht verkauft. Ein Top-Unternehmen im Depot zu behalten, auch wenn es mal überbewertet ist, ist wesentlicher Erfolgsgarant für Langfristanleger. Dies ist „die Kunst, nicht zu verkaufen", wie Value Investor Chuck Akre es mal formulierte. Zwischen „eine hoch bewerte Aktie halten“ und „eine hoch bewertete Aktie kaufen“ besteht allerdings ein großer Unterschied. Das Compounding, also das Ausnutzen des Zinseszins-Effekts, funktioniert am besten, wenn man es nicht unterbricht. Je länger man das Geld für sich Erträge erwirtschaften lässt, umso höher wird die Rendite am Ende. Nun verkauft Buffett seine Apple-Aktien wegen der Steuer-Situation. Ein Rückkauf findet aber nicht statt und der wäre auch nicht zwangsläufig sinnvoll. Apple ist im Jahr 2024 mehrfach so hoch bewertet wie bei seinem ursprünglichen Einstieg ab 2016. Schaut man sich die Gewinnerwartungen an, ist Apple auch in absoluten Zahlen wahnsinnig teuer bewertet. Ein Kauf bietet sich hier aktuell nicht wirklich an. |