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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Freitag, 16.09.2022 | Kühl bei Westwind und bis zu 16°C. | ||
+ Ulrich Schneider im Interview: „Warum ich Die Linke verlasse“ + Ölraffinerie in Schwedt soll ohne Russland laufen + Springer-Chef Döpfner bekommt Miete von Adidas + |
von Robert Ide |
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Guten Morgen, heute zuerst was Schönes: Berlin-Romantik mit Carla und Jannes. Sie sind beide Kinder des Prenzlauer Berg, wohnen nur ein paar Straßen voneinander entfernt und haben sich über eine Dating-App kennengelernt. Ihr erstes Treffen, eine U-Bahn-Fahrt, ist jetzt fünf Monate her; in drei Wochen ziehen der 19-Jährige und der 20-Jährige bei ihren Eltern aus – und zusammen in eine Wohnung in ihrem Kiez. Fürs erste brauchen sie nur einen Kühlschrank, eine Matratze und einen Balkon, haben sie mir beim Gespräch erzählt für unsere Liebeskolumne „ins Herz“ (nachzulesen hier). Was macht die erste Liebe so besonders? Jannes sagt es so: „Ich vergesse völlig die Zeit, wenn sie da ist.“ Und, denken Sie auch manchmal noch dran? | |||||
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Längst innerlich und äußerlich verkracht ist die Partei Die Linke. Während sie in Berlin besonnen mitregiert, zerreißt sie sich im Bund mit Kreml-Propaganda und jahrelangen Grabenkämpfen selbst. Nach dem Eklat um eine weitere russlandfreundliche Rede von Sahra Wagenknecht im Bundestag droht die Partei, die nie ihren Wesenskern bestimmt hat und der Gegenwart immer nur hinterhergelaufen ist, zur Geschichte zu werden (Leitartikel dazu hier). Weithin anerkannte Mitglieder treten bereits aus – darunter Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Im Checkpoint-Interview erklärt der 64-Jährige, was ihn dazu bewogen hat und wie der soziale Protest der Zukunft aussieht. Herr Schneider, warum haben Sie die Linke verlassen? Für mich war es mit der Rede von Sahra Wagenknecht endgültig genug. Ich kann und will nicht in einer Partei sein, die auf großer Bühne solche Ansichten propagiert. Frau Wagenknecht hat ja ihre spezielle Diktion, ihre Rede war im Ton teilweise diffamierend und diskreditierend. Hinzu kommen ihre speziellen Ansichten zum russischen Krieg und den daraus folgenden Wirtschaftssanktionen ... …die sie als „beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen Russland“ bezeichnete, den die Bundesregierung „vom Zaun“ breche. Natürlich gilt in jeder Partei die Redefreiheit. Und jede Partei hat Leute mit sehr speziellen Ansichten. Dass aber unsere Fraktion solche Aussagen ohne klare Benennung der Kriegsursache und gegen die nötigen Sanktionen gegen Russland noch ins Schaufenster stellt, dass Frau Wagenknecht die zentrale Rede im Bundestag dazu hält und dafür ein Mandat von der Fraktion erhalten hat, das kann ich nicht mittragen. Das will ich auch nicht. Hat die Linke noch eine Chance, aus der Krise zu kommen? Ich will das nicht kommentieren. Ich kümmere mich nur noch um meine sozialen Aufgaben. Anders gefragt: Ist es nicht bittere Ironie, dass die einst wegen der Sozialproteste gegen Hartz IV erstarkte Linke in dem Moment auseinanderzubrechen droht, in dem die SPD diese Sozialreform zu einem Bürgergeld umdeklariert? Zunächst einmal: Der Begriff Bürgergeld ist ziemlich antiquiert – sind da nur Männer mitgemeint? Abgesehen davon hat die Reform positive Ansätze. Wer arbeitslos ist, muss künftig nicht gleich auf das Ersparte zurückgreifen oder wird gezwungen, die eigene Wohnung zu räumen. Auch ist es wichtig, dass Arbeitslose nicht zwanghaft in den Vorruhestand geschickt werden, dass die Arbeitsplatzvermittlung nicht immer Vorrang vor Weiterbildung hat. Ein wirklicher Wechsel ist das aber nicht: Erst wenn das Sozialsystem seinen repressiven Charakter verliert, können wir zu einem echten Hilfesystem kommen. Und ganz ehrlich, dafür reicht der neue Hilfssatz von 502 Euro im Monat nicht aus. Bedürftigen blieben bisher 5 Euro für alle Lebensmittel am Tag – jetzt sind es 5,50 Euro. Für Kinder steigt der Satz von 3 Euro auf 3,30 Euro. Beim besten Willen: Das ist nicht auskömmlich. Welche Sorgen und Ängste begegnen Ihnen in Ihren Beratungsstellen? Vor allem pure Verzweiflung. Fast die Hälfte aller Leistungsempfangenden lebt schon auf Pump. Vor Kurzem hatten wir den Fall, dass ein Mann einen Kredit aufnehmen wollte, um seine Stromnachzahlung zu begleichen. Kredite für laufende Kosten sind meist der Anfang vom Ende. In solch einem Fall muss man zunächst mit dem Energieversorger sprechen. Es wäre wichtig, wenn es hier ein gesetzliches Moratorium für die nächsten Monate gibt: Steigende Nebenkosten dürfen kein Grund sein, den Heizungshahn zuzudrehen oder die Wohnung zu kündigen. Kann es sein, dass es gerade jetzt eine soziale Protestpartei braucht? Es braucht solidarischen Protest. Mit vielen Bündnispartnern planen wir gerade Proteste im Herbst, in mehreren großen Städten soll es gleichzeitig Demonstrationen geben. Dazu gehört aber eine klare Abgrenzung zur AfD und anderen Gruppen, die die Demokratie ablehnen. Ob es dafür die Linkspartei braucht? Keine Ahnung! Sie hätte jetzt eigentlich eine wichtige Chance. Und was denken Sie? Hat die Linke noch eine Zukunft? | |||||
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So, jetzt aber einsteigen, bitte! Berlinerinnen und Berliner können nun doch von Oktober bis Dezember für 29 Euro im Monat mit Bussen und Bahnen bis zum Tarifzonenrandgebiet fahren. Wer A sagt, darf auch B sagen – keinesfalls aber C, denn Brandenburg macht nicht mit, blockiert die städtische Ringbahnfahrt aber auch nicht. Berlinerinnen und Berliner brauchen auf jeden Fall ein Abo für die vergünstigten Karten (das sie zum Jahresende wieder kündigen können). Und während Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) gestern in Giffeys Vorzimmer mit „Rotkäppchen halbtrocken“ auf ihren Sonderzug anstießen, ließ sich Brandenburgs CDU-Fraktionschef Jan Redmann zu folgender Bahnhofs-Durchsage hinreißen: Berlins Einzelfahrschein sei „ein Wahlkampfgeschenk“, „ein Fehler“ und „wirklich populistische Politik“. Und jetzt machen Sie endlich die Türen frei! | |||||
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Ach ja, und abends Licht aus! Das gilt für bis zu 70 Prozent der Berliner Haushalte, die sich im Falle eines kompletten russischen Gas-Boykotts im Winter womöglich auf eine stundenweise Abstellung des Stroms einstellen müssten – falls die schlimmsten Notfallpläne des Senats eintreten (Hintergründe hier). Energiestaatssekretär Tino Schopf (SPD) bemüht sich, die Spannung etwas rauszunehmen: „Wir gehen nicht davon aus, dass es dazu kommt.“ Um schon jetzt Energie zu sparen, wurden allen Denkmälern der Stadt die Scheinwerfer ausgeknipst. Leicht war diese Erleuchtung nicht, denn Berlins Lichtschalter lassen sich nur per Hand ausstellen, wie die FDP moniert. Ein beauftragtes Elektrofachunternehmen musste demnach mit drei Kolonnen durch die Stadt fahren, um täglich bis zu 120 Leuchten manuell abzuklemmen. „Das erscheint im Zeitalter der Digitalisierung und ‚Smart Lighting‘ rückwärtsgewandt und nicht mehr zeitgemäß“, sagt FDP-Chef Sebastian Czaja dem Checkpoint. Nun soll das Abgeordnetenhaus mal bedenken, dass die Denkmale eine intelligente Lichtsteuerung und LED-Lampen bekommen. Damit Berlin kontrolliert ein Licht ausgeht. | |||||
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Ziemlich im Dunkeln tappt die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, die hochherrschaftliche Häuser wie Schloss Sanssouci in Potsdam, das Schloss Charlottenburg oder das Schloss Schönhausen verwaltet, offenbar aber auch andere Herrschaftssymbole bewirbt. Schriftsteller Marko Martin entdeckte am Flughafen BER an einem Verkaufsstand mit dem Schriftzug der Stiftung allerhand T-Shirts, Gläser und Tassen mit DDR-Emblem (Foto hier). Offenbar haben Preußens Erbpfleger nicht mehr alle Porzellantassen im Schrank. Eine „Diktaturverherrlichung und Opferverhöhnung“ beklagt nicht nur Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, Marko Martin findet das Sortiment „schlicht zum Kotzen“. Auf Nachfrage verweist die steuerfinanzierte Stiftung auf die Museumsshop GmbH, die für die Ware zuständig sei. Diese wiederum gibt Hammer und Zirkel an die Firma Wöllhaf weiter, die das Geschäft betreibe. Wöllhaf vermarktet Flächen auf Flughäfen, darunter auch die bekannte Currywurstbude „EsS-Bahn“. Für Checkpoint-Nachfragen blieb die Firma am Donnerstag verbissen nicht erreichbar. So verbleiben wir mit ihrer Eigenwerbung: „Wir machen Flughäfen persönlicher.“ Richtig und wichtig, dass Opfer der DDR-Diktatur das persönlich nehmen. | |||||
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Bleiben wir beim Geschäftlichen. „Adidas-Shops zahlen keine Miete mehr“, titelte die „Bild“-Zeitung im März 2020 im Zuge der Corona-Krise; auch der Tagesspiegel berichtete danach ausführlich. Wie nun die „Financial Times“ erfuhr, trug Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner diese Information selbst an den damaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt heran. Eine Springer-Sprecherin bestätigt dem Checkpoint den Ursprung dafür: Döpfner ist Miteigentümer der Münzstraße 13-15 in Mitte – dort ist Adidas auf zwei Etagen Mieter und betreibt einen Flagship-Store. In der Berichterstattung war bei „Bild“ davon nichts zu lesen. Fünf Tage und einen Aufschrei später erschien dann dieser Artikel: „Adidas entschuldigt sich und zahlt jetzt doch Miete.“ Die Springer-Sprecherin erklärt zu dem Vorgang: „Herr Döpfner hat hier als Journalist gehandelt, als er diese Information bekommen hat, und hat unmittelbar erkannt, dass das Thema von einem überragenden öffentlichen Interesse ist.“ Und wie erfuhr Döpfner so schnell von dem Sachverhalt? „Über seinen Hausverwalter“, sagt die Sprecherin. Wie viel Miete Döpfner mit dem Objekt verdient, konnte Springer nicht mitteilen. Auch eine Checkpoint-Anfrage an die Adidas-Zentrale in Herzogenaurach blieb bis zum Abend unbeantwortet. Immerhin wissen wir aber jetzt, warum die Münzstraße so heißt. | |||||
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Berlin, Du bist die größte Quasselstrippe uff da Welt. Dieses Lied von Helga Hahnemann (grandioses Video aus Ost-Berlin hier) können Sie, liebe Leserinnen und Leser, offenbar gut mitsingen. Denn auf die Frage nach tollen Berlin-Büchern von Schriftstellerinnen erreichten uns quassellange Listen, unter anderem mit folgenden schönen Titeln: + Menschen im Hotel (1929) von Vicki Baum + Das kunstseidene Mädchen (1932) von Irmgard Keun + Mauerblümchen (2009) von Holly-Jane Rahlens + Die Gespenster von Berlin (2009) von Sarah Khan + Bitte nicht freundlich (2010) von Sarah Schmidt + Ellbogen (2017) von Fatma Aydemir + Gott wohnt im Wedding (2019) von Regina Scheer + Kairos (2021) von Jenny Erpenbeck Am häufigsten genannt wurde Käsebier erobert den Kurfürstendamm (1931) der Berliner Schriftstellerin Gabriele Tergit, die als Jüdin von den Nationalsozialisten verfolgt wurde und nach dem Krieg auch für den Tagesspiegel schrieb (Hintergründe hier). Aus „Käsebier“ haben wir hier einen kurzen Auszug für Sie herausgesucht – es geht natürlich ums Zeitungmachen: „Miehlke kam herein, der Metteur. Er hatte ein völlig nacktes Gesicht, da war kein Haar zu finden, weder in dem Gesicht, noch auf dem Kopf. ‘Kratzfuß, die Herren. Die Seite muß um ½ 5 weg, jetzt ist 3 Uhr. Also ran. Ich habe den großen Artikel über die Neubauten im Satz. Nehm ich den, is die Seite voll.‘ ‘Der ist viel zu lang ‘, sagte Miermann schüchtern. Er sagte es schüchtern, weil Miehlke der Mann war, der einmal zum Publizisten Heye gesagt hatte, zu Heye, der die berühmten Leitartikel schrieb: ‘Wenn Se nich kürzen, Herr Heye, streich ich selber 20 Zeilen, Sie glauben gar nich, wie schnell ich das mache, Herr Heye, und merken tut's auch keiner.‘ Und als Stefanus Heye gelächelt hatte, hatte Miehlke gesagt: ‘Sie glauben wohl, es merkt's einer von den Lesern? Och, Leser merken janischt, janischt merken Leser. Die Herren denken immer, es kommt druff an. Es kommt aber nich druff an.‘ ‘ls mir ganz ejal‘, sagte Miehlke, ‘das Blatt kann nich warten wegen Ihn, und streichen is besser als uf'n Rand drucken.‘ Miehlke ging. ‘Also was machen wir? ‘, sagte Miermann. ‘Ich werde mal einen Kaffee bestellen‘, meinte Gohlisch.“ | |||||
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