Freitag, 20. September 2024 | |
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| Liebe Leserin, lieber Leser, |
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Der Verleger des Stuttgarter Verlags Klett-Cotta wehrt sich gegen die Selbstverzwergung der Buchbranche: „Ich nenne es das Multikrisen-Selbstverzwergungs-Syndrom, kurz MSV“, schreibt Tom Kraushaar im Feuilleton der F.A.Z. Während Opern- und Konzerthausintendanten Milliardenbeträge aus öffentlichen Mitteln mit dem Selbstbewusstsein strahlender Leuchtturmprojektwärter ergatterten und die Kunst-, Theater- und Filmbetriebe gar mit dem Ziel anträten, die Demokratie zu retten, gehöre es in der Buchbranche zum guten Ton, „niemals Zweifel am zwangsläufigen Untergang der Lesekultur aufkommen zu lassen“: „Masochistisch ausgewertete Studien über den Rückgang von Buchkäuferzahlen werden genüsslich in der Welt verbreitet. Jede dahergelaufene Smartphone-Anwendung gilt noch schneller als letzter Sargnagel des Mediums Buch, als sie wieder im digitalen Nirwana verschwinden kann.“ | Sandra Kegel | Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. | |
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| Dabei existiert das Produkt Buch, so Kraushaar, nicht nur seit mehr als fünfhundert Jahren. Es hat auch die digitale Revolution wie kein anderes Medium souverän gemeistert. Vor diesem Hintergrund sieht der Verleger die weitgehend stabilen Umsatzzahlen als Ausweis von Stabilität auf hohem Niveau: „Der deutschsprachige Buchmarkt erwirtschaftete 2023 9,71 Milliarden Euro und damit 50 Prozent mehr als hiesige Filmwirtschaft und Musikindustrie zusammen“, und das ohne direkte Unterstützung, da die reduzierte Mehrwertsteuer, die Buchpreisbindung sowie die Förderung von Autoren, Übersetzern und Institutionen lediglich die Rahmenbedingungen schafften, damit Verlage aus eigener Kraft das literarische Leben und den Wissensaustausch unterhielten. Sie, liebe Leserinnen und Leser, sind als Lesende ein, wenn nicht der wichtigste Spieler auf diesem Feld. Denn ohne Sie und Ihr Interesse an den Büchern würde es all die wunderbaren Verlage nicht geben. Die rege Teilnahme an der vorige Woche gestellten Frage, welche Bücher Sie denn auszeichnen würden in diesem Herbst, wenn aufs Neue Büchner-, Raabe- und Deutscher Buchpreis verliehen werden, belegt das eindrucksvoll. Die Bandbreite der vorgeschlagenen Preistitel reicht von Lyrik über Satiren bis zu Short Stories. Eric Marr empfiehlt Jana Scheerers schwarze Komödie „Die Rassistin“ über die identitätspolitischen Debatten unserer Tage (Schöffling), Eckhard Limberg möchte den für sein Dafürhalten zu wenig gewürdigten Autor Sven Heuchert mit seiner universellen Geschichte über Verlust, Trauer und Neuanfang „Das Gewicht des Ganzen“ (Ullstein) auszeichnen. Carsten Günter bittet Georg Klein aufs Treppchen, schon allein, weil „er gut aussieht“ (Rowohlt) und Egbert Baqué den Lyriker Jürgen Theobaldy: „Nun wird es hell und du gehst raus“ versammelt seine Poeme aus 50 Jahren (Wallstein). Martina Eichner kann sich für Saša Stanišić und seinen Erfolgshit „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“ (Luchterhand) begeistern: „Ja, es wäre dann der 100. Preis für ihn, und jeden hat / hätte er verdient!“ *** Unsere Leseempfehlungen: Sanyal, Yaghoobifarah, Pfitzenmaier, von Suffrin: Haben es zweite Romane schwerer als Debüts? Der Showdown ist eröffnet: Die Shortlist des Deutsches Buchpreises „Die sieben Todsünden“: Annette Kehnel wappnet für die Krise *** Der Leser Bernd Cornely hat sogar die Idee für eine neue Preiskategorie: Der „Wiedervorlage-Preis“ sollte an Romane gehen, die vor mindestens drei Jahren erschienen und seinerzeit unverdientermaßen unbepreist geblieben sind. Da fielen uns einige Titel ein. Sein Vorschlag: Christoph Höhtker „für sein kluges, ideensprühendes, sprachmächtiges und gesellschaftssezierendes Gesamtwerk“, insbesondere „Schlachthof und Ordnung“ (Weissbooks). Tom Kraushaar erinnerte in seinem flammenden Plädoyer daran, dass die Bücher nicht in ihrer Buchgestalt verharren würden, sondern die Basis bildeten für Kinofilme, Fernsehserien, Videogames und Theaterstücke. Das ist richtig. Vor allem aber machen sie etwas mit uns, ihren Lesern, weil sie uns am Ende der Lektüre bestenfalls anders auf die Welt schauen lassen, was immer wieder ein Wagnis ist und ein Abenteuer. Daran knüpft sich die Erfolgsgeschichte des Buchs als Speichermedium für all die Geschichten, die unbedingt erzählt werden müssen. Sie entzünden den Geist, bringen Menschen ins Gespräch, lassen sie schwärmen, diskutieren und streiten. So soll es sein. Und jetzt wünsche ich Ihnen viel Spaß dabei. Ihre Sandra Kegel P.S. Im nächsten Editorial soll es um Truman Capote gehen, der am 30. September vor hundert Jahren geboren wurde. Wie und durch welches Werk sind wir mit dem Autor in Berührung gekommen? Welche Rolle spielt er in unseren Lesebiographien? Und welches einzelne Buch böte heute den besten Zugang zu seinem Schaffen? Mein Kollege Fridtjof Küchemann freut sich auf Ihre Zuschriften unter Literatur-NL@faz.de.
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