Liebe/r Leser/in, es gibt Tage in Berlin, da spürt man, dass ein Tornado naht. Erst ein Grummeln, nur fern, dann ein Grollen, lauter – und schließlich ist es, als werde der Sauerstoff der Luft entzogen. Wahrscheinlich haben auch Robert Habeck und Patrick Graichen diese schleichende Eskalation seit den ersten Anfragen zu Trauzeugen gespürt. Vielleicht auch früher, schon seit dem „Kniefall von Katar“? In den Redaktionen der Hauptstadt jedenfalls wurden längst Wetten darüber abgeschlossen, wessen Kopf es kosten wird: Graichens, Habecks oder beider? Zynismus der Hingehaltenen. Auch ich muss nun einem Kollegen einen De-luxe-Burger mit Speck ausgeben, weil ich mich nach Habecks Treueschwur vor zehn Tagen zur Festlegung hinreißen ließ, der Minister werde niemals von seinem taumelnden Staatssekretär lassen! Doch auf das Grollen folgte das Donnern folgte der Tornado und jetzt – bleiben nichts als die kurze Stille vor dem nächsten Sturm und die eine große Frage: Fährt Robert Habeck Energiewende und Wirtschaft gegen die Wand? Ein großes Projekt braucht immer ein großes Ego. Doch diese tiefgreifende Umsteuerung von Wirtschaft und Gesellschaft verführt anscheinend manchen zu Arroganz und einer Absolutheit des eigenen Anspruchs, die gefährlich werden kann. Wir gegen die. Jetzt erst recht. Diese Haltung macht angreifbar. Wie oft wurde Patrick Graichen in den Verbands- und Politikkreisen als brillant im Thema, aber anmaßend in Durchsetzung und Ton beschrieben? Lange vor der Frage nach Verwandtschaftsgrad und Filz mokierte man sich über Habecks „Boys Club“, diese Bescheidwisser, die nur so lange freundlich lächelten, wie niemand die Richtigkeit ihres Weges anzweifelt. Wurzelten die Vorwürfe nur in Neid und Boshaftigkeit? Oder treffen sie einen zentralen Punkt? Für wen, wenn nicht fürs Ego, musste das Großvorhaben Heizungsgesetz vorgezogen werden? Wie, wenn nicht mit Abgehobenheit, ist zu erklären, dass dabei die Sorgen der Menschen vergessen wurden? Wer Großes will, darf die eigene Fehlbarkeit nie vergessen. Sorgfalt geht vor Performance, Sache vor Person. Anfangs schien es, als sei die Hoffnung im Wirtschaftsministerium, diesem alten, phlegmatischen Kasten, tatsächlich grün gewesen. Als ich im vergangenen Frühjahr eine Ministeriale, sonst eher graumäusig als unterhaltsam, auf einer Party traf, da erzählte sie mit leuchtenden Augen, welch Ruck das Haus erfasst habe. Acht Monate später tanzte sie erneut an mir vorbei und begann – bei einem Drink – zu weinen. Alles zu viel, zu schnell, zu schlecht. Dabei hatte man doch gewusst, was kommen würde! Bei Amtsantritt hatte Robert Habeck 22 Punkte Instant-Polit-Programm im Gepäck, ersonnen von Graichen. Sie galten als Dream-Team der Szene. 528 Tage später stehen die Grünen in den Umfragen gleichauf mit der AfD – und niemand weiß, womit sich der übrig gebliebene Solist aus dem Sumpf ziehen kann. Wird Robert Habeck das Selbstmitleid abstreifen? Schluss machen mit Schuldzuweisungen? Sich konzentrieren auf die größte Herausforderung unserer Zeit? Kein Ministerium ist für die Zukunft des Landes wichtiger als sein „House of Habeck“. Ist er nur Besserwisser – oder hat er noch Kraft zum Bessermachen? |