| | | | | 6. Juli 2025 | | Prantls Blick | | Die politische Wochenschau | | | |
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| | | Prof. Dr. Heribert Prantl | | | |
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| | | als jüngst die Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht begann, habe ich die kleine Mappe mit den alten Fotos wieder hergesucht: Da liegen Soldaten in einem Schützengraben des Truppenübungsplatzes von Grafenwöhr und simulieren ein Gefecht; es raucht und qualmt. Einer davon ist der Gefreite Heribert Prantl vom Beobachtungsbataillon der vierten Jägerdivision. Dessen Hauptaufgabe war es, mit einem Radarschirm, der auf einem Hotchkiss-Kommandopanzer montiert war, die Bahn feindlicher Geschosse anzumessen, dann mittels trigonometrischer Regeln den Standort der feindlichen Geschütze zu bestimmen und deren Koordinaten an die eigene Artillerie zu melden â auf dass die dann den Gegner ausschalten kann. Diese Messerei und Rechnerei des Wehrpflichtigen Prantl war eine mäÃig anspruchsvolle Tätigkeit, für die ich wohl deshalb ausgewählt worden war, weil ich mein Abitur an einem mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium gemacht hatte. Aber so ein Abitur schützt vor Fehlern nicht. Und so geschah es, dass ein General die Wehrübung in Grafenwöhr besuchte, sich in meinen Radarpanzer setzte, nach einer Viertelstunde mit hochrotem Kopf heraussprang und mich anbrüllte: âSie Rindvieh. Mit Ihren Daten beschieÃen wir die Kirche von Grafenwöhr.â Ein soziales Pflichtjahr Das war natürlich nicht so, aber ich hatte tatsächlich bei den Messungen einen Fehler gemacht. Der viel gröÃere Fehler bestand aber, so dachte ich damals, darin, dass ich nicht den Wehrdienst gänzlich verweigert und stattdessen einen Ersatzdienst angetreten hatte. Die 15 Monate Wehrdienst waren in ihrer Summe nämlich unendlich öde. Der einzige Reiz bestand darin, mit Leuten aus sozialen Schichten zusammenzukommen, die man wohl sonst nie getroffen hätte. Das waren, zumal an der Artillerieschule in Idar-Oberstein, rustikale, herzhafte und lehrreiche Begegnungen. Zum Wehrdienst hatte ich mich letztendlich wohl aus Trotz und aus Opposition entschlossen, weil einer meiner Lehrer sich ein Schuljahr lang so heftig dagegen ausgesprochen und mit uns das âManifest gegen die Wehrpflicht und die militärische Ausbildung der Jugendâ aus dem Jahr 1930 im Unterricht durchdekliniert hatte âim Ãbrigen, weil ich wissen wollte, wie es in der Bundeswehr zugeht. Eine besonders gute Erfahrung war es dann nicht. Im Zug der jetzt aufgeflammten Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht habe ich dieses Manifest von Intellektuellen aus ganz Europa wieder gelesen â unter anderem von Albert Einstein, Sigmund Freud, Thomas Mann, Romain Rolland und Stefan Zweig â und war bewegter als damals. Darüber schreibe ich heute in meinem SZ-Plus-Text und spreche mich für einen ganz anderen Wehrdienst aus, als er bis 2011 in Deutschland gegolten hat. Bis dahin war der Wehrdienst Pflicht und Regel, der Zivildienst war Ausnahme; den Zugang zu dieser Ausnahme musste man sich mit einer Gewissensprüfung erkämpfen. Das gilt es grundsätzlich zu verändern: Der Dienst müsste für Männer und Frauen zur allgemeinen Pflicht werden; und diese Pflicht sollte dann in der Pflege, im Naturschutz, in der Feuerwehr, im Katastrophenschutz â oder eben auch in der Bundeswehr geleistet werden können. Unsere Sicherheit wird nämlich auch in Krankenhäusern, Kindergärten und Pflegeheimen verteidigt. Und das soziale Pflichtjahr wird ein guter Erfahrungsraum sein. | |
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| | | Ein Manifest gegen die Wehrpflicht | | |
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| Ich wünsche Ihnen einen erquicklichen Hochsommer. Vom kommenden Sonntag, 13. Juli, bis einschlieÃlich Sonntag, 3. August, mache ich eine Letter-Sommerpause. Mein nächster Letter kommt dann am Sonntag, 10. August. Ihr |
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| Heribert Prantl | | Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung |
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| | | | | | | | | Narrenschiff DDR | | Das erfolgreichste deutschsprachige Buch vor der Reformation hat ein Basler Juraprofessor mit Namen Sebastian Brant geschrieben, es war eine bitterböse Satire. Sie erschien 1494, in einer Zeit voller düsterer Weltuntergangsvorstellungen. Brants Buch freilich lässt die Welt mit Witz zugrunde gehen; wahrscheinlich hatte es deshalb so viele Fans. Einer von ihnen war der Maler Hieronymus Bosch, der flugs ein Gemälde aus Brants Stoff zauberte. Buch und Gemälde heiÃen âDas Narrenschiffâ. Die Crew auf diesem Schiff nimmt begeistert Kurs auf Narragonien. Aber alles läuft aus dem Ruder. Das Schiff ist unterwegs ohne Segel und ohne Steuer. Die Mannschaft an Deck treibt singend und saufend ins Verderben. Vielleicht hat Sie jetzt die Lust gepackt, in Brants Buch zu blättern oder auf Boschs Bild zu blicken. Vorher aber sollten Sie unbedingt zu Christoph Heins neuem Buch greifen. Es heiÃt ebenfalls âDas Narrenschiffâ und ist eine Erzählung, vielleicht besser gesagt ein episches Panorama der Geschichte der DDR. Seine literarischen Helden sind der kriegsversehrte Johannes Goretzka, der in letzter Minute vor Kriegsende vom Nazi zum Stalinisten mutiert war, der Ãkonom Karsten Emser, der in Moskau Stalins Terror überlebt hatte, sowie der aus England emigrierte jüdische Shakespeare-Experte Benaja Kuckuck und ihre Familien. Sie sind nicht Kapitän und Steuermann, aber doch an privilegierter Stelle an Deck des sozialistischen Staatsschiffs, um Kurs auf ein besseres Deutschland zu nehmen. Dabei verstricken sie sich, getrieben von Idealismus und Opportunismus, getröstet von ziemlich viel Alkohol, in Widersprüche und Lebenslügen. Das Buch ist zugleich präzise Chronik der Zeitgeschichte sowie unsentimental nüchternes Protokoll der fiktiven Familiengeschichten, und ebendies macht es so fesselnd. Das Buch ist ein hinreiÃendes Panoptikum. Ich bin nicht allein mit meiner Begeisterung. Lesen Sie die ausführliche Besprechung meiner geschätzten Kollegin Renate Meinhof, die passenderweise am 17. Juni dieses Jahres in der SZ erschienen ist. Wer nach der Lektüre von Christoph Heins Buch besserwessirisch denkt: âNiemals wäre ich so närrisch gewesen da mitzumachen!â, der blicke in Sebastian Brants Vorwort zu seinem Narrenschiff aus dem Jahre 1494: âDen Narrenspiegel ich dies nenne, In dem ein jeder Narr sich kenne; / Wer jeder sei, ich dem beschied, Der in den Narrenspiegel sieht.â Christoph Hein: Das Narrenschiff. Das Buch ist 2025 im Suhrkamp Verlag erschienen. Es hat 751 Seiten und kostet 28 Euro. | | | | |
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| | | | | Der Maulkorb | | Ein Minister haftet nicht für die Schäden, die er angerichtet hat. Er kann nicht in Regress genommen werden. Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn muss daher nicht haften wegen des Masken-Desasters, Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer muss nicht haften wegen des Maut-Desasters. So groà der Fehler auch sein mag, den Minister gemacht haben â es gibt keine Vorschriften, die vorsehen, dass sich der Staat, wenn er selbst deswegen haften muss, sich von seinem Minister Geld zurückholen kann. Das ist seltsam, weil dieses Nichthaftungsprivileg nur für die Minister gilt, nicht für ihre Staatssekretäre und nicht für ihre sonstigen Beamten. Dieses Nichthaftungsprivileg gilt auch nicht für Landräte und Bürgermeister. Der Volksmund sagt, dass den Letzten die Hunde beiÃen â und der Minister ist der Letzte in der Verantwortungskette. Aber Minister bleiben zivilrechtlich ungebissen, weil das Gesetz einen Maulkorb hat, der die Minister schützt. Ist das richtig, ist das gerecht? Der Kollege Wolfgang Janisch, Justizkorrespondent der SZ in Karlsruhe, versucht in der SZ am Wochenende, diese Merkwürdigkeiten zu erklären. Er tut das ebenso kundig wie geduldig. | | | |
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| | | | | Meinung | | Kommentare, Kolumnen, Gastbeiträge und Leserdiskussionen im Ãberblick | |
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