Mit dem Begriff „Wissenskultur“ waren stets hehre Ansprüche verbunden. Es ging um die Veränderungen der Wissensorganisation, um Open Source und Lifelong Learning, um breiten Zugang zum Bildungssystem und um neue digitale Lernformate. Der Bildungssektor expandierte, und „demnächst“ sollte eine Zeit beginnen, in der so gut wie alle Menschen über eine Art von Hochbildung verfügten. Das Internet versprach eine neue Ära der Wissensverfügbarkeit, die die alten Grenzen des Bildungssystems sprengen sollte. Bildung würde sich in alle Richtungen öffnen, überall neue Anschlüsse erzeugen, auf breiter Front „kulturisiert“ werden, als eine Art lebenslanger Lifestyle. Doch auf dem Weg in diese Bildungsutopie hat sich im Kern des Wissensbegriffs etwas grundlegend verändert.
John Naisbitt formulierte vor 30 Jahren: Wir ertrinken in Information, aber hungern nach Wissen. Heute könnte es heißen: Wissen ertrinkt in Myriaden von Informationen, deren Herkunft und Intentionen uns verwirren. Wissen entsteht langsam, durch Erfahrung, Trial and Error und Interaktion.
Echtes Wissen kann man nicht einfach copypasten. Wissen handelt von Zusammenhängen, Erfahrungen, Kompetenzen. Wie Bildung hat es immer etwas mit Begegnung zu tun. Mit Vertrauen. Aber dieses Vertrauen wird in einer digitalen Wirklichkeit erodiert, in der es um das rasende Schürfen von Aufmerksamkeit und Erregung geht. Auf diese Weise frisst die Wissenskultur sich selbst auf: Sie wird überschrieben vom Lärm einer Infodemie, in der die Kontexte des Wissens langsam wegschwemmen und alles, was wir zu wissen glauben, nur noch auf Reiz und Reaktion basiert. Die Erregungskultur hat die Wissenskultur überrollt.
Und dennoch geht der Megatrend Wissenskultur weiter – allerdings mit veränderten Parametern und Kriterien. Die Akademisierung, die jahrelang die Bildungslandschaft prägte, ist an ihrem Zenit angelangt. Das bietet die Chance, Kopf und Bauch, Hirn und Hand wieder zusammenzubringen. Die Zukunft gehört der Könnenskultur. Eines der ältesten Trendworte des Wissensbereichs könnte dadurch wieder zu Ehren kommen: der Talentismus. Er besagt, dass im Bildungssystem und in der Arbeitswelt die individuellen Talente im Zentrum stehen sollten: die qualifizierende Vertiefung der Neigungen des einzelnen Menschen – und nicht berufliche „Ausbildungen“ nach traditionellen Berufsbildern. Den Kern des Berufslebens bildet in Zukunft die subjektive Motivation, die persönliche Leidenschaft. Die neue Macht des Humankapitals, die schon heute in der Arbeitswelt entstanden ist, wird dieser Transformationsidee neuen Schub verleihen.
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