Liebe/r Leser/in, in einigen Regionen, so lese ich bei Wikipedia, bedeutet Kopfschütteln wortloses Zustimmen. In Nordgriechenland etwa, in Bulgarien, Sri Lanka. Im Rest der Welt bedeutet es zumindest ungläubiges Erstaunen. In diesem Rest der Welt leben wir. Und diese Woche gab viel Anlass zum Kopfschütteln. Der vergangene Freitag: Der Rundfunk Berlin-Brandenburg veröffentlicht ein bislang unbekanntes Video, das wenige Sekunden nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 entstand. Das Verbrechen geschah vor mehr als zweieinhalb Jahren. Aber erst jetzt werden die Bilder bekannt. FOCUS-Reporter haben schon vor Monaten die These eines Einzelattentäters aufgrund von Video-Recherchen bezweifelt. Damals wurden wir von Politikern und Medien dementiert. Inzwischen werden unsere Fragen immer drängender, die Pannen immer offensichtlicher. Heute wissen wir, dass die Fahnder noch zwölf Videos vom Breitscheidplatz kennen – und über 2400 Handy-Bilder. Warum wurden jene, die sie gefilmt haben, nie befragt? Lesen Sie mehr ab Seite 34. Am Montag treffe ich in Torgau (Sachsen) Rainer Wendt, Chef der Polizeigewerkschaft, der den CDU-Kandidaten und Ex-Polizeipräsidenten Bernd Merbitz im Sachsen-Wahlkampf unterstützt. Die beiden Vollblutsheriffs kennen die Straße und die Sorgen der Bürger und müssen sich jeden Tag gegen AfD-Zerrbilder von angeblich gesetzlosen deutschen Innenstädten verteidigen. Am Sonntag wählen die Menschen in Sachsen und Brandenburg. Die AfD stilisiert sich im Wahlkampf als direkte Nachfolgerin der Bürgerrechtsbewegung der DDR. „Vollende die Wende“, heißt es auf Plakaten; der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke posaunt: „Es fühlt sich schon wieder an wie in der DDR. Dafür haben wir nicht die friedliche Revolution gemacht.“ Wie bitte? „Wir“? Höcke wurde in Lünen in Nordrhein-Westfalen geboren und wuchs in Rheinland-Pfalz auf. Der brandenburgische AfD-Spitzenkandidat Andreas Kalbitz stammt aus München. Zwei Populisten aus dem Westen, die Ossi spielen – Kopfschütteln ohne Ende. Am Dienstag explodiert mein Mail-Account. Dutzende Unternehmer wüten über SPD und Linkspartei: Solidaritätszuschlag nur noch für Erfolgreiche, der Irrweg zur Wiedereinführung der Vermögensteuer, die Diskussion um Enteignungen. In Berlin will Linkspolitikerin Katrin Lompscher (ab 1981 SED-Mitglied) eine gesetzliche Obergrenze für Wohnungsmieten einführen. Geht der Gesetzentwurf durch, gäbe es ab 2020 keine Kaltmiete mehr über 7,97 Euro, egal, ob im Szenebezirk Prenzlauer Berg oder in Marzahn. Für mich wäre dies das Ende der freien und sozialen Marktwirtschaft. Genossin Lompscher hat offenbar vergessen, wie die heute so beliebten Stadtteile Mitte, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain vor 30 Jahren aussahen: grau, marode, einsturzgefährdet. Ich frage mich, wann die linken Zwangsbeglücker Einheitspreise auch für Autos oder Lebensmittel vorschreiben. Am Mittwoch lese ich das Interview unserer Reporterin Dona Kujacinski, die den Unternehmer Martin Herrenknecht traf. Er fordert die Politik auf, die Wirtschaft endlich wieder nach vorn zu bringen. Herrenknechts Firma ist ein Familienbetrieb. Diese wirtschaften, so ergab eine Studie, die diese Woche veröffentlicht wurde, im Vergleich zu anonymen Aktiengesellschaften deutlich erfolgreicher. Deutsche Familienunternehmer halten Wirtschaftsminister Peter Altmaier laut FAZ für eine „Fehlbesetzung“; Martin Herrenknecht drückt sein Kopfschütteln auf Seite 53 so aus: „Wir hatten schon bessere Wirtschaftsminister …“ Am Donnerstag jogge ich durch Berlin-Mitte. Über die Brücke vor dem Bode-Museum auf der Museumsinsel, entlang dem Pergamonmuseum hin zum Lustgarten. Ich sehe das wiederaufgebaute Stadtschloss in der Morgensonne, vom Baugerüst befreit, und freue mich. Der Anblick ist erhaben. Gerade noch habe ich mich über den Wahnsinnsplan der SED-Bausenatorin aufgeregt, die Investoren aus Berlin vertreibt – und nun stehe ich vor diesem prachtvollen Gebäude, das so viele rote Kader bekämpft haben. Jetzt ist es da. Und es ist gut so. Wovor fürchten sich all die Verhinderer eigentlich? |