Meinung |
Nie wieder mit Windsteueranlage |
YACHT-Woche – Der Rückblick |
Die Woche in BildernLese-Empfehlungen der Redaktion |
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Liebe Leserinnen und Leser, |
Eine bittere Woche für den britischen Segler Simon Curven. Seit dem Start des Golden Globe Race im September führt er das Feld der tollkühnen Segler in ihren kleinen Booten an. Nun liegt nur noch das berühmt-berüchtigte Kap Horn vor seiner Bugspitze, dann endlich die Kursänderung nach Norden. Ein Schrick in die Schoten und das Boot nach Hause bringen. |
Stattdessen scheint das Rennen für ihn überraschend vorbei zu sein, denn vor ein paar Tagen kassierte seine Biscay 36 einen Knockdown im Southern Ocean. Nicht, ohne Federn zu lassen: Das Rigg blieb zwar stehen, die Sprayhood hängt dafür in Fetzen und – viel schlimmer – auch seine kostbare Windsteueranlage ist beschädigt. Das wichtigste Ausrüstungsstück für einen Einhandsegler. |
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Da das Golden Globe Race auf historische Technik setzt, ist ein elektrischer Autopilot nicht an Bord. Deshalb sind Curvens Optionen überschaubar: Entweder die letzten 8000 Seemeilen von Hand steuern - oder einen Nothafen anlaufen, reparieren und dafür die Führung aufgeben. Und den Sieg. |
Dass der Abbruch einer Rekordfahrt von einer kaputten Windsteueranlage verschuldet wird, kam in der Geschichte des Segelsports überaus selten vor. Ich glaube noch gar nicht. Schließlich gilt die Windsteueranlage seit vielen Jahrzehnten und über Generationen von Blauwasserseglern hinweg als der zuverlässigste Mitsegler. Einige Langfahrtsegler bauen im Laufe einer Reise sogar solch eine innige Beziehung zu ihrer Windsteueranlage auf, dass sie ihr tatsächlich einen Namen geben, als wäre es ein Mitsegler. |
Und irgendwie scheinen die Anlagen nicht aus der Mode zu kommen. |
Vor etwa zwölf Jahren habe ich die letzte Geschichte über Windsteueranlagen in der YACHT geschrieben - und damals mit einem mutigen Titel zugleich eine These aufgestellt: „Wind ist der beste Steuermann“. |
Damals war ich völlig davon überzeugt. Die Autopiloten auf Fahrtenyachten waren noch längst nicht so weit wie heute – und außerdem war ich ein eingefleischter Windsteueranlagen-Fan, der auf Transatlantik-Törns die Vorteile zu schätzen gelernt hat. Sie benötigen einfach überhaupt keinen Strom und nahezu keinerlei Wartung. |
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Auch Wilfried Erdmann schrieb in seinen Büchern immer wieder, dass er seiner „Aries“ lediglich ab und zu ein bisschen Spüli zum Schmieren gegeben und die Scheuerstellen der Steuerleinen versetzt hat. Mit derselben Windsteueranlage umsegelte er auf „Kathena Nui“ zweimal nonstop die Welt. Eine Reserve-Anlage war zwar beide Male mit an Bord, wurde aber nie gebraucht. Nicht ohne Grund werden heute noch 40 Jahre alte Aries-Modelle eigentlich nie unter 2000 Euro gehandelt. |
Ausfälle durch Bruch in der Mechanik kommen so gut wie nie vor. Nach Rücksprache mit dem Aries-Hersteller erfuhr ich damals, dass solche Anlagen eigentlich nur mechanisch zerstört werden können, also durch eine Kollision bei Hafenmanövern, einen Wal, einen Hai der das Ruder abbeisst – oder eben einem schweren Knockdown. Ansonsten sind sie unkaputtbar. |
Das System der Windsteueranlagen ist alt. Es wurde um das Jahr 1900 entwickelt. Nicht für Yachten, sondern für Modellsegelboote. Fernsteueranlagen gab es damals ja noch nicht, also überlegten sich die Bastler, wie sie es bewerkstelligen könnten, dass die Boote halbwegs geradeaus fahren. Die Lösung war eine kleine Windfahne am Heck der Boote, die über zwei gegenläufige Zahnräder mit dem Ruder verbunden ist. Wird die Windfahre auf Halbwindkurs eingestellt und fällt das Boot dann zum Beispiel auf einen tieferen Kurs ab, dann dreht sich die Fahne mit und richtet sich im Wind aus. Das Ruder wird dabei über die Zahnräder gelegt und das Boot geht auf Halbwindkurs zurück. Boote unter Windsteueranlage eiern also immer ein wenig, aber fahren unter dem Strich in die richtige Richtung. |
Erst Jahrzehnte nach den Modellbauern begannen auch Yachtsegler sich solche Anlagen auf ihre Boote zu montieren und alle waren begeistert, weil die Boote genau dorthin fuhren, wohin sie sollten. Das Prinzip erwies sich als so simpel wie effektiv, dass eine solche Anlage sogar Rüdiger Nehbergs „The Tree“ über den Atlantik steuerte. Ich finde, das wurde nie richtig gewürdigt. Nochmal: Sie steuerte „einen Baum“ über den Ozean! |
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Natürlich setzt die Physik der Adaption solch einer Modellbau-Lösung seine natürlichen Grenzen. Da die Steuerkraft durch die Größe der Windfahne bestimmt wird, musste die Fahne bei größeren Booten auch sehr groß ausfallen. Deshalb wurde in den sechziger Jahren das Pendelrudersystem entwickelt, das bis heute Stand der Technik ist: Die Windfahne gibt lediglich einen Steuerimpuls, durch den das im Wasser hängende Pendelruder angestellt wird. Es schwimmt im vorbeiströmenden Wasser aus, baut die Steuerkraft auf, die über Leinen an Pinne oder Steuerrad übertragen wird. So einfach wie genial. In den sechziger Jahren begann Blondie Hasler seine „Hasler-Anlage“ in Serie zu bauen, bis dahin gab es nur Eigenbauten. Bobby Schenk war vermutlich der erste Deutsche, der mit solch einer Serienanlage auf seiner Fähnrich 34 um die Welt gesegelt ist. |
So toll und pflegeleicht Windsteueranlagen auch sind: Die Bedienung ist gewöhnungsbedürftig. Schließlich gibt es keinen Knopf, durch den man die Anlage aktivieren kann, sondern man muss das System wirklich verstehen. Zur Inbetriebnahme wird zunächst das Pendelruder ins Wasser geklappt, je nach Modell die Steuerleinen mit Rad oder Pinne verbunden, das Boot gut getrimmt auf Kurs gebracht, die Anlage eingekuppelt, dann immer wieder korrigiert, bis das Schiff auf Kurs läuft. Zwischendurch ein bisschen Feintuning. Eine Windsteueranlage ist nichts für kurze Schläge in Küstengewässern, sondern nur eine Lösung, wenn es auch lange genug geradeaus geht. Ändert sich die Windrichtung (was auf dem Atlantik ja zum Glück meist nicht allzu schnell passiert), dann fährt man in eine andere Richtung. |
Jahrzehntelang war für jeden angehenden Blauwassersegler klar: Wer auf Langfahrt geht, braucht eine Windsteueranlage. Sie ist die erste Anschaffung, wenn man ein Boot für Langfahrt ausrüstet. Wie gesagt, ich selbst war immer der größte Fan von Windsteueranlagen. Viermal bin ich mit ihnen über den Atlantik gesegelt. Auf kleinen Booten unter zehn Metern. |
Aber mit dem Umstieg auf unser erstes großes Boot, einen 43-Fuß-Katamaran, hatten wir dann auch das erste Mal einen richtigen Autopiloten an Bord, ein Linearantrieb von Raymarine. Auch kein völlig modernes System, aber sehr zuverlässig, leicht zu aktivieren, zu korrigieren und zu deaktivieren, wenn nötig. |
Und nach gut drei Jahren, 20.000 Seemeilen – davon gut 19.000 Meilen unter Autopilot - und einer Atlantiküberquerung mit dem Schiff, bin ich nun der Meinung: Die Zeit der Windsteueranlagen ist endgültig vorbei. |
Zumindest, wenn man nicht gerade nonstop mit einem 40 Jahre alten Boot um die Welt segelt und keine moderne Technik an Bord haben darf … so wie bei den Seglern im Golden Globe Race. |
Wer hingegen auf Atlantikrunde oder Weltumsegelung gehen will und seinen Autopiloten trocken und gut geschützt unter Deck montiert hat, für den ist eine Windsteueranlage einfach nicht mehr zeitgemäß. Zumal jede modern ausgestattete Ostseeyacht heute dank Lithium-Batterien, Hochleistungs-Solarpaneelen und -Lichtmaschinen-Ladereglern für einige Zeit in der Lage wäre, den nötigen Strom zur Versorgung des Autopiloten sicherzustellen. |
Wenn man sich die ARC-Boote anschaut, die jedes Jahr über den Atlantik aufbrechen, dann sieht man bei dem Drittel der kleineren Boote immer noch einige Windsteueranlagen. Ich habe aber den Eindruck, dass viele Eigner sie aus Tradition montieren, aus guter Seemannschaft. Weil ein Langfahrtschiff eben eine Windsteueranlage an Bord haben muss und man nachher, falls der Autopilot doch ausfällt, von den Vereinskameraden nicht hören möchte: „Ohne Windsteueranlage losgefahren und dann selber steuern müssen? Selbst schuld, das weiß doch jeder Optisegler …“ |
In den vergangenen Jahren sind mir auf dem Atlantik auch immer wieder sehr moderne Schiffe mit einem 4,5 Meter breiten Spiegel begegnet, auf denen alibimäßig eine Hilfsruder-Anlage weit außermittig neben der Badeplattform montiert war. Weit außen, damit die Treppe frei bleibt. Ob die Anlage dann überhaupt funktioniert, oder ob das Ruder der Windsteueranlage nicht bei Krängung einfach aus dem Wasser gehebelt wird? Eine Frage, die immer wieder diskutiert wird. Und häufig mit dem Argument totgeschlagen, dass sich bislang kein Eigner beklagt hat. |
Meiner Meinung nach: Weil die meisten solch eine Windsteueranlage heute nur als Backup mitführen und in Wirklichkeit der Autopilot steuert. Im Notfall, bei Ausfall des Autopiloten, ist sie sicher eine Option, solange das Boot gut ausgetrimmt ist, aufrecht und vor dem Wind segelt. Dann hat die Anlage eine Chance. Aber fürs dauerhafte Steuern über einen Ozean kann das keine Lösung sein. |
Ich für meinen Teil würde das Geld lieber anders investieren: In einen zweiten, elektrischen Autopiloten, auf den ich bei Bedarf nur umschalten muss. Nicht nur aus Komfortgründen, weil mir eine Windsteueranlage zu mühselig ist. Oder gar weil ich so ein Technik-Freak bin, der sich insgeheim an Bord einen Knopf wünscht, auf dem „Weltumsegelung“ steht … |
Sondern weil ich denke, dass alles seine Zeit hat. Und manchmal muss man einfach Dinge loslassen, die zwar früher gut waren, für die es heute aber deutlich bessere Lösungen gibt. |
(Übrigens: Auch das Kurzwellenfunkgerät und Pactor-Modem sehe ich genauso als Relikt aus vergangenen Tagen. Aber die Tür mache ich ein andermal auf …) |
Johannes Erdmann, YACHT Blauwasser-Experte |
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