Liebe Leserinnen und Leser,
an dieser Stelle wollen wir von der YACHT Redaktion künftig jeden Samstag das aus unserer Sicht wichtigste, interessanteste, kontroverseste Ereignis der Woche einordnen und kommentieren. Es soll bewusst ein subjektiv geprägter Rückblick sein, mal launig geschrieben, mal hintergründig argumentiert. Denn nicht alles, was uns umtreibt, wird automatisch zu einem Bericht. Mancher Zwischenton bleibt ungehört, mancher Seitenblick ungeschrieben, weil er nicht den klassischen Nachrichtenkriterien genügt oder weil wir aus Gründen des Aktualitätsdrucks schlicht nicht dazu kommen. Mit dem Rückblick der YACHT Woche wollen wir all dem Raum geben und Sie noch mehr in unsere Arbeit, unsere Sichtweisen, auch unsere internen Diskussionen und Dilemmata einbeziehen.
Diese Woche war es die Verschiebung des ursprünglich für Sonntag geplanten Starts der Route du Rhum, die mich besonders beschäftigt hat. Denn auch wenn ich die Entscheidung richtig finde und die Zustimmung der 138 Solo-Skipper einhellig war, so hat sie der Regatta, dieser Mutter aller Transats, doch einen gewissen Zauber, eine Aura, ein Stück ihrer epischen Bedeutung genommen.
Das geht schon los mit der Startzeit. Statt wie geplant am Sonntag um 13:02 Uhr, wie bei der Vendée Globe, schickte die Wettfahrtleitung das Feld am Mittwoch um 14:15 Uhr auf den Kurs nach Gouadeloupe. Die prosaischere Zeit war nicht dem Wetter oder der Tide geschuldet, sondern den unter der Woche strikteren Vorgaben der TV-Sender. Um nur ja nicht das übliche Programm unterbrechen zu müssen, wurde der ursprüngliche Termin kurzerhand geopfert, der so liebenswert krumm gewählt war, um nicht das böse Omen der in Seefahrerkreisen seit je verpönten 13 heraufzubeschwören.
Nennen Sie mich einen rettungslos verlorenen Traditionalisten, aber mir bedeuten solche Schrullen etwas. Sie gehören zur Szene der Solosegler ebenso wie zur Bretagne. Wer derlei auf dem Altar des Kommerzes oder der Bequemlichkeit opfert, des bloßen Pragmatismus wegen, bringt die „Rhum“ um einen - zugegeben - kleinen Teil ihrer Besonderheit.
Da kann und muss man folgerichtig auch gleich größere, unbequemere Fragen stellen. Ob Einhandregatten solcher Größe nicht ohnehin Nonsens sind, zumal im stürmischen Herbst, zumal von einem Starthafen wie Saint-Malo aus, der bekanntermaßen am Ärmelkanal liegt und die Skipper zu einem Slalom zwischen Fischern, Containerschiffen und Mitbewerbern zwingt – weit überwiegend im Dunkeln.
Noch ein Gedanke, ein grundsätzlicherer, hat in mir Zweifel geweckt, ob das so schlau war mit der ersten Startverschiebung, die es je bei der Route du Rhum gegeben hat: Nach welchen Kriterien wird eigentlich abgesagt?
Sicher waren (und sind) die Wetterprognosen für den Auftakt extrem fordernd, an der Grenze der Zumutbarkeit für Mensch und Material. Gleich drei Schwerwetterfronten waren es vor einer Woche. Nach der Verschiebung müssen die Skipperinnen und Skipper noch immer mit zwei Tiefs kämpfen, wobei das erste streng genommen kaum schwächer ausfällt als das am vergangenen Wochenende.
Wo ist der substanzielle Unterschied? Sind 40 bis 50 Knoten in Böen und Kreuzseen von 5 bis 6 Metern mittlerer Höhe noch okay, 50 bis 60 Knoten aber unzumutbar?
Vielleicht sollte ich an dieser Stelle noch einmal betonen, dass ich die Entscheidung der Wettfahrtleitung nachvollziehen kann. Sie ist unter großem Druck zustande gekommen, seitens der Skipper, vor allem der Class 40, aber auch von Seiten der Versicherer und von der Seenotrettung, die darauf hingewiesen hatte, dass sie bei derart schweren Bedingungen nur sehr begrenzte Einsatzkapazitäten zur Verfügung stellen könne und die schiere Zahl von Teilnehmern an sich schon ein Problem darstelle, zumal bei Wind aus West und Kreuzkursen im Kanal.
Nur: Warum lässt man dann Rekordfelder zu? Warum behält man den Start im November bei, der das Sturmrisiko enorm vergrößert? Warum definiert man nicht von vornherein, wann und unter welchen Voraussetzungen verschoben wird?
Natürlich ist es wohlfeil, aus der Schreibstube heraus solche Fragen aufzuwerfen. Es gibt darauf keine einfachen Antworten, wie so oft, wenn ein Plan auf die Realität trifft und drei Sturmfronten auf eine Armada von Einhandseglern. Seien Sie versichert: Niemand von uns will über eine Wettfahrt berichten, die zum Crashtest-Derby wird. Es sollen die besten Skipper siegen, nicht die wildesten Hasardeure.
Und doch ist mir da etwas abhanden gekommen – so wie schon im Sommer bei der wetterbedingten Bahnverkürzung der Vendée Arctique. Es nimmt dem Hochseesport diesen Nimbus des ultimativen Abenteuers.
Statt die Segler entscheiden zu lassen, ob und wann sie über die Linie fahren, entscheiden Dritte, wohlmeinend, für sie. Bei allem Verständnis: Mich stimmt das nachdenklich. Es ist der Verlust an Herausforderung, an Purheit und Klarheit, der mich am vergangenen Wochenende beschlich. Ich werde darüber hinwegkommen, aber was macht das mit der Route du Rhum, mit dem Hochseesegeln an sich? Werden wir beim The Ocean Race, bei der Vendée bald ähnliches erleben?
Jochen Rieker, Chefredakteur YACHT