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Wochenende Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Samstag, 20.06.2020 | Auf einen verhangen verregneten Samstag bei höchstens 20°C folgt ein ebensolcher Sonntag. | ||
+ Nachruf auf eine Berlinerin: die Stadt ohne Zitty + CDU schlägt Magnetschwebebahn zum BER vor + Höchste Neuinfektionszahl in Berlin seit Mitte April + |
von Julius Betschka |
Guten Morgen, eines ist gewiss: Diese Krise wird Berlin verändern. Das syrische Restaurant bei mir in der Straße hat noch immer geschlossen. Drinnen steht einsam die Werbetafel, darauf in schöner Schrift „Essen wie bei Mamma“. Das Licht an der Decke hat lange nicht gebrannt. Vielleicht kommen sie ja wieder, oder nicht? Diese Krise trifft die Kleinen wie die Großen: Galeria-Karstadt-Kaufhof hat verkündet, sechs von elf Filialen in Berlin zu schließen, eine weitere in Tegel soll gar nicht erst öffnen. Geschlossen werden sollen die Standorte in Charlottenburg, Tempelhof, an der Müllerstraße in Wedding, im Ringcenter an der Frankfurter Allee, in Hohenschönhausen und die Filiale in den Neuköllner Gropius-Passagen. 600 Menschen könnten allein in Berlin ihren Job verlieren und ganze Nachbarschaften ihren Halt: Was macht so ein leerstehender Betonklotz mit der Gegend? Der Regierende Bürgermeister nennt das Aus der Filialen einen „schweren Schlag für die Kieze“. Verdi spricht von „einer der bittersten Stunden des deutschen Einzelhandels“. Vor dem Karstadt an der Wilmersdorfer Straße ist heute Morgen um 10 Uhr eine Spontandemo der Beschäftigten angekündigt, genauso in Wedding. Für die Angestellten bedeuteten die Schließungen eine Zäsur. Die Frage: Trägt das Virus die Schuld am Ende der Filialen oder ist es die Folge eines langsamen Wandels, den die Eigentümer verschlafen haben? Dem Ende der großen Warenhäuser? Die Betonmeiler wirken – nicht nur baulich – aus der Zeit gefallen, wer sie betritt, denkt mehr an Gestern als an Morgen. Ihr Ende wird auch das Gesicht von Großstädten verändern – zum Schlechteren? Vielleicht steht das Ende der Fußgängerzone wie wir sie kannten an, vielleicht ziehen Amazonboten bald wie Steppenläufer durch die Kieze. Vielleicht führt aber das Ende der Warenhäuser zu neuen Chancen für kleine Lädchen. Die Lust am Bummeln verschwindet nicht mit Karstadt. Diese Pandemie wirkt wie ein Katalysator für gesellschaftliche Entwicklungen. Sie vertieft vorhandene Brüche und schafft neue Verwerfungen. Wir müssen uns umstellen, altes beiseitelegen, neu anfangen. Das tut weh. Aber jeder Anfang enthält diesen kleinen magischen Moment, in dem so vieles möglich scheint, nahezu jede Veränderung trägt ihn mit – und was können wir in Berlin besser als das: neu anfangen, Licht wieder anknipsen. Zur Not halt woanders. Eigentlich haben wir doch nur mit dem Fertigwerden Probleme. | |||||
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Wie ist das bei Ihnen: Beatles oder Stones? Hosen oder Ärzte? Oasis oder Blur? Zitty oder Tip? (Bei mir: a, b, b, a) Mit Fragen wie diesen erkundigte man sich nach dem dritten Bier nach der Weltsicht des Sitznachbarn – zumindest in West-Berlin. Hop oder Top? Die beknackte Nachricht: Für die Stadtmagazine „Zitty“ und „Tip“ ist die Frage nun letztgültig geklärt. Ganz ohne Bier, ohne Kneipenschlägerei. Die Zitty, das linkere, widerständigere der beiden, stellt ihre Printausgabe nach 43 Jahren ein. Keine Veranstaltungen, kaum Anzeigen. Ende. Eine Stadt ohne Zitty. Eine letzte Ausgabe soll es nicht geben. Die beiden Magazine hatten längst unter einem Dach (Zitty auch mal unter dem des Tagesspiegel) Journalismus gemacht, die – meist liebgemeinten – Grabenkämpfe um die Weltsicht gab es noch immer. Tip soll jetzt weiterleben, einige Zitty-Spezialitäten (die Comics!) auch, alle festen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dürfen wohl erstmal bleiben. Das Coronavirus ist, wie man hört, nicht der alleinige Grund für das Ende – es dürfte den Abgang aber arg beschleunigt haben. Zitty sagt deshalb ganz leise „Tschüss“. Und wir schreien’s laut: Schüssi, Zitty! Scheiße, ist das traurig. | |||||
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...und noch ein bisschen Internetlove von (Wahl-)Berlinern für ’ne echte Berlinerin: „Vor über zwanzig Jahren hab ich mein Praktikum bei der Zitty gemacht. Danach haben sie mir immer mal wieder wohlwollend Geld für juvenilen Quatsch bezahlt – und mich maßgeblich dazu ermutigt, mit dem Schreiben weiter (und ernst) zu machen. Danke und auf Wiedersehen, Zitty.“ Judith Holofernes, Musikerin und Autorin „Zitty war politischer, alternativer, punkiger, linker, undergroundiger. Den tip lasen die Schnöseligen an der Uni. Und alle, denen es nur um die Kinokritiken ging, denn die, das wusste auch jeder, waren ja im tip besser. Ob irgendwas davon sachlich begründet war? Keine Ahnung.“ Gereon Asmuth, Journalist „Du Schnösel!, hat mein Vater mich mal angefahren, weil ich als ahnungsloser Vierzehnjähriger ‚Tip‘ statt Zitty eingekauft hatte.“ Oliver Trenkamp, Journalist „Echt traurig! Als wir damals nach Berlin kamen, war Zitty DAS Ding, um herauszufinden wo, wann, welches Punkkonzert stattfand. Wir fühlten uns sehr geehrt, als irgendwann auch über unsere Shows berichtet wurde. Machs gut, Zitty.“ ZSK, Punkband „Sie war ein Berliner. Ade, Zitty!“ Deniz Yücel, Journalist | |||||
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Ja, dieses Jahr verändert Berlin. Es verschwinden Dinge, die waren immer da, und es werden neue Selbstverständlichkeiten hinzukommen („Kenn’se schon Zoom?“/“Corona-App jeladen, Kollege?“). So richtige, echte Reisen ins Ungewisse finden dieses Jahr halt vor allem vor der eigenen Haustür statt – Pauschalurlaub, aber an der Kotti d’Azur. Wir starten deshalb unsere Sommerreihe „Urlaub ganz nah“ und erkunden für Sie zum Beispiel alle Berliner Inseln, suchen die schönsten Hinterhöfe oder unsere Autoren versuchen so richtige Berlin-Berlin-Dinge, aber zum ersten Mal. Checkpoint-Kollege Stefan Jacobs war zum Beispiel 38 Jahre nach seinem Umzug in die große Stadt das erste Mal siegessäulen und stellt fest: „Die Goldelse steht exemplarisch dafür, wie einsam Prominente sein können.“ Constanze Nauhaus macht vor dem Bergain die klassische Erfahrung eines durchschnittlichen Berlinbesuchers: Sie kommt nicht rein. Angie Pohlers findet die schönste Frau der Stadt. Und Sebastian Leber entdeckt das Tempelhofer Feld ganz neu. Wie sehr muss sich die Welt verändern, damit wir das Normale nicht mehr bloß vorbeiziehen lassen? Wir probieren das dieses Jahr aus – mit Ihnen. Wird schön. Versprochen. Unterstützen können Sie uns übrigens mit einem Abo, wenn Sie mögen: für die Checkpoint-Langstrecke, das E-Paper oder die gedruckte Version des Tagesspiegel. Für Journalismus mit Herzblut, für Berlin. | |||||
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Berlin hat ja angeblich mehr Brücken als Venedig, mehr Kirchen als Rom, mehr Parks ja auch und, ach, Clubs haben wir sowieso zehnfach mehr als alle anderen zusammen. Bätschi, sage ich dazu nur! Damit das schön so bleibt, hat Kultursenator Klaus Lederer (um den geht es weiter unten nochmal) jetzt erklärt, das im Mai aufgelegte Soforthilfeprogramm um zweimal drei Monate verlängern zu wollen – insgesamt 60 Millionen Euro würden fließen. Empfangen sollen das Geld Clubs, Varieté-Theater, Einrichtungen der freien Szene, kleine Kinder- und Jugendtheater sowie private Museen. Kohle, die die schlimmsten Brände löscht. Die Clubs hat der Senat jetzt immerhin als Kulturorte anerkannt, sieht sie nicht mehr auf einer Stufe mit Bordellen und Spielhöllen. Diese kulturelle Mikroökonomie gilt es jetzt anzufeuern, von uns für uns. Damit Berlin doch ein bisschen und eigentlich bitte ganz schön dolle, na echt jetzte!, wie Berlin bleibt. | |||||
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