Analyse zum Deutschlandstart der Billigplattform Amazon Haul |
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Am 1. Juni 2025 startete Amazon Haul als Beta-Version in Deutschland. Die neue Shopping-Rubrik bietet ausschließlich Produkte unter 20 Euro mit Lieferzeiten von bis zu zwei Wochen aus China. Erstmals verzichtet Amazon bewusst auf seine Kernvorteile Speed und Prime-Integration. Der Schritt zeigt, wie stark chinesische Plattformen den Marktführer unter Druck setzen. |
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Amazon Haul Deutschland: Die offiziellen Fakten |
Amazon positioniert sein neues Discount-Portal als direkte Antwort auf veränderte Kundenbedürfnisse. Wie das Unternehmen in seinem offiziellen Blog-Beitrag erklärt, bietet Haul "Tausende von Produkten für 20 Euro oder weniger, die meisten davon für weniger als 10 Euro und einige sogar für nur 1 Euro". |
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"Unsere Innovationen werden von Kundenwünschen bestimmt, und wir wissen, dass es für Kundinnen und Kunden in Deutschland wichtig ist, tolle Produkte zu sehr niedrigen Preisen zu finden", begründet Rocco Bräuniger, Country Manager Amazon Deutschland, den Launch gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. |
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Das Produktspektrum konzentriert sich auf Fashion, Wohnen und Lifestyle – genau jene Kategorien, in denen Temu und Shein besonders erfolgreich sind. Anders als beim klassischen Amazon-Marktplatz verkauft Amazon alle Haul-Produkte direkt und verspricht dabei "alle erforderlichen Kontrollen", damit Kunden "Produkte erhalten, die sicher sind und allen geltenden Vorschriften entsprechen". |
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Die Pricing-Struktur orientiert sich klar an der Konkurrenz: Kostenlose Lieferung ab 25 Euro Bestellwert, darunter fallen 3,50 Euro Versandkosten an. Zusätzliche Mengenrabatte von fünf Prozent ab 50 Euro und zehn Prozent ab 75 Euro sollen größere Warenkörbe fördern. Besonders günstige Artikel bewirbt Amazon mit dem Social-Media-geprägten Label "krass günstig". |
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Der Kompromiss: Lieferzeiten von bis zu zwei Wochen aus Amazons chinesischem Logistikzentrum. Für preissensitive und Discovery-orientierte Kunden, die das Stöbern und Entdecken günstiger Produkte schätzen, ist die Liefergeschwindigkeit jedoch zweitrangig. Amazon setzt darauf, dass diese Zielgruppe längere Wartezeiten für signifikante Preisvorteile akzeptiert. |
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Branchenreaktionen: "Amazon braucht eine Antwort" |
E-Commerce-Experten bewerten den Haul-Start als strategische Notwendigkeit. Alexander Graf, CEO der Softwarefirma Spryker, bringt es gegenüber dem RND auf den Punkt: "Überall, wo Temu erfolgreich ist, braucht Amazon eine Antwort, also eine neue Plattform. Das soll Haul sein." |
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Die Medienberichterstattung hebt hervor, dass Amazon erstmals das Erfolgsrezept seiner Konkurrenten kopiert. Wie mehrere Berichte zeigen, unterscheidet sich Hauls Oberfläche deutlich vom klassischen Amazon-Design: bunter, schriller und stärker auf junge Kundschaft zugeschnitten. |
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Erste Praxis-Eindrücke: Holpriger Start mit Wachstumsbarrieren |
Der Beta-Launch zeigt jedoch auch konzeptionelle Schwächen. Die erste ausgerollte Version hatte noch keinen erkennbaren Warenkorb – ein Feature, das mittlerweile nachgereicht wurde. Auffällig ist zudem die geringe Sichtbarkeit von Haul in der Amazon-App selbst: Das Angebot ist quasi unsichtbar, möglicherweise um Kannibalisierung des Kerngeschäfts zu vermeiden. |
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Diese vorsichtige Implementierung folgt dem Prinzip: Wer gezielt nach Amazon Haul sucht, findet es – wer es nicht sucht, stößt nicht darauf. Das schützt zwar Amazons Premium-Positioning, schafft aber gleichzeitig eine Wachstumsbarriere für die neue Plattform. |
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Vom Look and Feel wirkt Haul wie ein Temu-Klon: bunt, schreiend und Discovery-orientiert. Die Funktionalität ähnelt dem chinesischen Vorbild, auch wenn Gamification-Elemente noch fehlen. Ob Amazons Algorithmus den Entdeckungseffekt von Temu erreichen kann, wird sich in den kommenden Wochen zeigen müssen. |
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Internationale Erfahrungen stimmen jedoch nachdenklich. Umfragedaten aus den USA zeigen, dass drei Monate nach dem US-Launch nur 16 Prozent der Shopper Haul mindestens monatlich nutzten – deutlich weniger als Temu mit 28 Prozent oder Shein mit 23 Prozent im gleichen Zeitraum. |
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Marktdruck: Wie Temu und Shein Amazon unter Zugzwang setzen |
Die Zahlen belegen den enormen Druck auf Amazon. Laut Branchenberichten stieg die Nutzung chinesischer Plattformen in Deutschland rasant: Temu wuchs von elf Prozent der Verbraucher 2023 auf 32 Prozent 2024, Shein erreicht 17,8 Millionen deutsche Nutzer. |
Besonders alarmierend für Amazon: Nach BEVH-Daten entfielen 2024 bereits sechs Prozent aller deutschen Online-Käufe auf chinesische Plattformen wie Temu, Shein und AliExpress – eine Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr. Bei den Bestellungen liegt Temu seit 2024 bereits auf Platz vier hinter Amazon, eBay und Otto. |
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Die Expansion wird durch massive Werbeoffensiven verstärkt. Nach der Einführung von US-Zöllen verlagerten Shein und Temu ihre Marketingbudgets nach Europa: Shein steigerte seine Werbeausgaben in Frankreich und Großbritannien um 35 Prozent, Temu sogar um 40 Prozent. |
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Geschäftsmodell-Analyse: Unterschiedliche Ansätze im Direktvergleich |
Amazon Haul adaptiert fremde Strategien auf die eigene Infrastruktur, bleibt aber beim Direktverkaufs-Modell. Während Temu als reiner Marktplatz chinesische Händler vermittelt und nach Analysen 30 Dollar Verlust pro US-Bestellung für Marktanteilsgewinne akzeptiert, behält Amazon die Kontrolle über Produktqualität und Kundenservice. |
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Shein verfolgt einen vertikal integrierten Ansatz mit eigener Fast-Fashion-Produktion und generierte 2024 einen Nettoumsatz von 32-39 Milliarden US-Dollar. Das Unternehmen nutzt Datenanalyse für Trendvorhersagen und produziert entsprechende Artikel binnen weniger Tage. |
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Amazons Differenzierungsversuch liegt in der Kombination aus Ultra-Low-Pricing und etabliertem Markenvertrauen. 15-tägige kostenlose Retouren und vereinfachte Rückgabe über DHL, Hermes oder UPS sollen Vertrauen schaffen, das bei chinesischen Direktanbietern oft fehlt. |
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Strategische Einschätzung: Chancen und Risiken für Amazon |
Amazon kann auf strukturelle Vorteile setzen: 50 Millionen monatliche deutsche Besucher bieten eine riesige Reichweitenbasis, etablierte Logistik-Infrastruktur und Markenvertrauen schaffen Wettbewerbsvorteile. Besonders das Thema Produktsicherheit könnte sich als entscheidend erweisen, da Temu und Shein wiederholt wegen fragwürdiger Produktqualität kritisiert wurden. |
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Dennoch bleiben erhebliche Herausforderungen: Der späte Markteintritt bei bereits etablierter Konkurrenz, höhere Betriebskosten gegenüber chinesischen Low-Cost-Modellen und die Gefahr der Marken-Kannibalisierung zwischen Speed- und Price-Positioning. |
In den USA sieht sich Amazon den gleichen Zollbeschränkungen gegenüber wie Temu, da die Waren denselben Importbestimmungen unterliegen. Ein möglicher Ausweg könnte die Verlagerung der Beschaffung nach Indien oder andere Märkte sein – ein Vorteil gegenüber rein China-fokussierten Konkurrenten. |
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Externe Faktoren könnten Amazon mittelfristig helfen. Die EU-Untersuchung zu Temu nach dem Digital Services Act und neue Produktsicherheitsbestimmungen erhöhen den regulatorischen Druck auf chinesische Plattformen. Mögliche Zollerhöhungen auf China-Direktimporte könnten zudem die Kostenvorteile der Konkurrenz schmälern. |
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Auswirkungen für Händler und Marken |
Für Marken und Händler verschärft Haul das Positionierungs-Dilemma zwischen Premium- und Discount-Segmentierung. Die neue Plattform-Fragmentierung erfordert ausgeklügelte Multi-Channel-Strategien, um Kanalkonflikte zwischen Standard-Amazon und Haul zu vermeiden. |
Der zusätzliche Margin-Druck betrifft besonders Standardkategorien wie Mode, Haushaltswaren und Elektronik. Gleichzeitig entstehen Differenzierungschancen für Anbieter, die Qualität und Service als Abgrenzung zu Billig-Konkurrenz nutzen können. |
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Operative Komplexität steigt durch unterschiedliche Fulfillment-Modelle und Lieferzeiten. Händler müssen Lagerverwaltung, Pricing und Kundenservice plattformspezifisch optimieren. |
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Fazit: Defensive Reaktion mit ungewissem Ausgang |
Amazon Haul markiert einen strategischen Wendepunkt: Erstmals sieht sich der E-Commerce-Gigant zu einer defensiven Reaktion auf Marktdruck gedrängt. Der Verzicht auf Speed-Vorteile zugunsten reiner Preiskonkurrenz zeigt, wie erfolgreich chinesische Plattformen etablierte Spielregeln verändert haben. |
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Bemerkenswert ist dabei die Position, die Amazon gegenüber den eigenen Handelsverbänden einnimmt. Während HDE und bevh (bei denen Amazon Mitglied ist) den Direktversand aus China weiter unterbinden wollen, zeigt der Konzern mit Haul einen pragmatischeren Weg auf. E-Commerce-Experte Jochen Krisch bringt es in seiner Analyse auf den Punkt: "Was sich nicht verhindert lässt, das sollte man entsprechend für sich nutzen." |
Diese pragmatische Haltung spiegelt auch die wirtschaftliche Realität wider: In einer Zeit, in der viele Menschen stärker auf Preise achten müssen, entsteht ein großer Bedarf für Billiganbieter. Diesem Bedarf kann nicht mit Qualität, Herkunft oder anderen weichen Faktoren begegnet werden – wenn die Not da ist, muss der Bedarf gedeckt werden, sonst macht es jemand anders. |
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Der Erfolg bleibt dennoch ungewiss. Temu und Shein haben nicht nur einen zeitlichen Vorsprung, sondern auch aggressive Wachstumsstrategien mit Community-Building und Social Commerce Features, die Amazon erst entwickeln muss. Die vorsichtige Implementierung in der Amazon-App zeigt zudem, dass das Unternehmen noch nach dem optimalen Weg zwischen Wachstum und Kannibalisierung sucht. |
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Für die deutsche E-Commerce-Landschaft bedeutet Haul weitere Fragmentierung und verstärkten Preisdruck. Händler müssen Multi-Plattform-Strategien entwickeln und Qualitätsdifferenzierung stärken, sollten aber gleichzeitig – wie Krisch empfiehlt – die neuen Entwicklungen für sich nutzen, anstatt sie nur zu bekämpfen. Die Regulierung chinesischer Plattformen könnte Amazon langfristig helfen – entscheidend bleibt jedoch, ob der Konzern Vertrauen mit Preis-Aggressivität glaubwürdig verbinden kann. |
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Transparenzhinweis: Dieser Artikel wurde von unserem Redakteur auf Basis seiner Recherche mit Hilfe eines KI-Systems erstellt. |